EGGE-WESER 1982 Band 1, Heft 3* Seiten 122-129

Beobachtungen zur Bedeutung episodischer Starkregen für die rezente Weiterentwicklung von Trockentälern

Das Beispiel eines Tales bei Bellersen nach dem Unwetter vom 7.8.1981

Horst-Dieter Krus, Brakel-Bellersen

* Original vergriffen / gestaltungsmäßig geänderte Fassung für Neuauflage

Am 7. September 1981 wurde der Raum Bellersen von einem heftigen Unwetter mit Gewitter und sintflutartigen Regenfällen heimgesucht. Das Unwetter richtete einen nicht unbeträchtlichen Schaden im Dorf und in der Feldmark an. Es bot aber auch Gelegenheit, den Einfluß solcher relativ seltener und daher episodisch zu bezeichnenden extremen Niederschlagsereignisse auf die Formung der Erdoberfläche zu erkennen. An dieser Stelle soll an einem Einzelbeispiel gezeigt werden, wie sich die Oberflächenformen im Talgrund von Trockentälern weiterentwickeln können. Genaue quantitative Angaben über den gefallenen Niederschlag lassen sich leider nicht machen, da für das angesprochene Einzugsgebiet keine Messungen vorliegen.

Im Gegensatz zu normalen Regenfällen, die zum überwiegenden Teil in den Boden einsickern bzw. oberflächlich sofort wieder verdunsten oder deren Wasserabfluß durch die Vegetationsdecke behindert wird, fließt bei einem Starkregen der größte Teil des gefallenen Niederschlages oberflächlich ab. Das Niederschlagswasser sammelt sich sehr schnell in Bodenvertiefungen, von wo es zu den Vorflutern abläuft. Dabei vereinigen sich viele solcher Wasserabflußbahnen, so daß sich schließlich regelrechte Wasserströme bilden, die auf dem Boden von Tälern, die normalerweise trocken sind, talabwärts stürzen. Dabei können je nach Intensität des Niederschlages und der Steilheit des Gefälles u.U. sehr hohe Fließgeschwindigkeiten erreicht werden.

Mit zunehmender Geschwindigkeit des Wassers wächst auch seine Transportkraft. Ton und Sand, aber auch größere Steine und anderes Material werden vom Wasser mitgerissen und an anderer Stelle, wo die Kraft des Wassers zum Weitertransport nicht mehr ausreicht, wieder abgelagert. Wo die Bodenoberfläche der Angriffskraft des Wassers nicht standzuhalten vermag, findet flächenhafte Abspülung statt bzw. können sich Erosionsrinnen tief in den Untergrund eingraben. Schon vorhandene Abflußrinnen werden dabei vertieft.

Hier soll nun die Wirkung eines Starkregens am Beispiel eines bestimmten Trockentales betrachtet werden. Das Tal, von dem hier die Rede sein soll, liegt in den Abteilungen 67 und 68 des Abbenburger Forstes zwischen Eisberg und Fahlenkämpen südwestlich von Bellersen. Zum Einzugsgebiet zählt neben den Talhängen selbst vor allem die Flur Hundebeutel.

Das Einzugsgebiet weist eine Fläche von ca. 65 ha auf. Ein großer Teil davon wird landwirtschaftlich genutzt, und zwar sowohl als Ackerland als auch als Weide. Der Rest ist bewaldet. Die Bestockung des Waldes im Einzugsgebiet ist sehr vielgestaltig. Sie reicht von Fichten- und Buchendickungen über baum- und strauchartenreiche Mischbestände bis zu Fichten- und Buchenhochwald.

Der größte Teil des Einzugsgebietes liegt im Unteren und Mittleren Muschelkalk. Der Untere Muschelkalk ist durch den oberen Wellenkalk und den


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Schaumkalk vertreten. Im Norden steht der Trochitenkalk des Oberen Muschelkalkes an. Die Böden variieren von mittelgründiger Braunerde über Rendzina-Braunerde bis zu der sehr flachgründigen Rendzina des Trochitenkalkes.

Naturgemäß ist die Wirkung des fließenden Wassers dort am größten, wo sich die Wassermassen bereits zu einer Abflußbahn vereinigt haben. Eine solche Stelle ist der Abschnitt im Talgrund des Trockentales, den wir hier näher betrachten wollen.

Der untersuchte Talabschnitt ist bewaldet. Da das Ausmaß der Erosion und der Akkumulation in starkem Maße von der Bodenbedeckung abhängt, ist zuerst ein Blick auf die im Talgrund zur Zeit des Niederschlages vorhandene Vegetation zu werfen. Die Baumschicht wird gebildet aus Rotbuchen, Eichen, Eschen, Ahorn und im unteren Teil einigen Lärchen. Eine Strauchschicht ist nicht vorhanden.

Die Krautschicht ist nur sehr schütter. Im ganzen Talgrund sind Goldnessel (amiastrum galeobdolon) und Waldmeister (Galium odoratum) häufig, Moose sind ebenfalls regelmäßig anzutreffen. Ändere krautige Pflanzen als die bereits genannten kommen nur vereinzelt vor. Zu den häufigeren zählen dabei Sauerklee (xalis acetosella) und Rührmichnichtan (Impatiens nolitangere). Gemeines Hexenkraut (Circaea lutetiana) und Farne sind selten, letztere nur in kleinen Exemplaren. An Baumarten sind in der Krautschicht Sämlinge von Ahorn und Esche vorhanden. Die oberste Bodenschicht ist durchsetzt mit den Wurzelstöcken des Scharbockskrauts (Ficaria verna). Ansonsten war der Boden zur Zeit des Regens mit einer dünnen Laub- und Humusauflage sowie kleinen Zweigen und Ästen bedeckt.

Nun zu den eigentlichen Auswirkungen des Starkregens. Das Wasser aus dem oberen Teil des Einzugsgebietes, d.h. dem vorwiegend landwirtschaftlich genutzten Bereich, sammelte sich auf dem breiten Boden des Trockentales, in dem auch ein befestigter Forstweg verläuft, und floß in breiter Front zu Tal. Erodiert wurde im oberen Talabschnitt vor allem im Bereich des Weges. Unterhalb dieses Abschnitts, im Bereich der Einmündung eines kleineren Seitentales, verengte sich aufgrund der Bodengestalt die Abflußbahn des Wassers. Hier ist auch der Anfang eines Trockentälchens im eigentlichen, mehr oder weniger ebenen Talgrund. In dieses Tälchen ergoß sich dann in Halbrund die Wassermasse. Die Folge war, daß die Kerbe, die von einem weit weniger intensiven Regen im Vorjahr herrührt, wesentlich erweitert wurde. Diese Erweiterung betraf nicht nur die Kerbe. Ausgehend von diesem relativ frischen Einschnitt spülte das Wasser erhebliche Mengen von Bodenmaterial aus. Dabei wurden die Wurzeln einer am Tälchenrand stehenden Esche freigespült.

Nach kurzem, grabenförmigem Verlauf erweitert sich das Tälchen wieder zu einem flachen, muldenförmigen Talboden. Die Hauptmasse des Wassers im Tal floß in dieser Mulde weiter. Am Rande des Wasserstroms lagerten sich dabei dickere Äste und Zweige, die praktisch auf das flache "Ufer" gespült wurden, ab. Die Äste wurden dabei mehr oder weniger parallel zur Fließrichtung eingeregelt. Dickere Stämme weisen eine leicht schräge Richtung auf, d.h. das Wasser warf sie mit einem Ende an einer Stelle "an Land". Das andere Ende wurde in Fließrichtung weiterbewegt. Die Kraft des Wassers reichte aber nicht aus, den Stamm weiterzutransportieren. So bildete sich zu beiden Seiten des Wasserstroms ein Damm aus Holzstücken, der in Biegungen vor allem an der Außenseite sehr stark ausgeprägt ist.


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Wo sich die muldenförmige Abflußrinne wieder zu einer weiten, fast ebenen Talsohle erweitert, konnte sich das Wasser auf eine größere Grundfläche verteilen. Dadurch verringerte sich wiederum die Fließgeschwindigkeit. Waren in der Abflußrinne dem Wasser keine Hindernisse im Weg, so mußte es nun zwischen Bäumen hindurchfließen. Das hatte natürlich bestimmte Auswirkungen auf die Erosion und Akkumulation.

Bild oben: Die "alte" Kerbe am Anfang der oberen Erosionsrinne. Das Bild zeigt den Zustand im Vorjahr nach einem weit weniger ergiebigen Starkregen.

Bild rechts: Die Wassermassen des Starkregens vom 7.8.1981 haben die oben abgebildete Kerbe stark erweitert und das verzweigte Wurzelwerk einer Esche freigespült.

Am auffälligsten ist, daß vor den Bäumen viele der vom Wasser mitgeführten Äste und Zweige hängen blieben. Dies gilt wiederum in besonderem Maße für die Bäume im Randbereich des Abflusses. Hier bildeten sich kleine Wälle aus Ästen quer zur Fließrichtung. In den Ästen verfingen sich dann Laub und andere Stoffe, so daß sie fast wasserundurchlässig wurden. Das Wasser floß dann um die Dämme herum. Hinter ihnen floß also das Wasser nur mit geringer Geschwindigkeit.

Die Folge war, daß dort die Bodendecke und die Vegetation praktisch unbeschädigt blieben. Im Schutze dieser Dämme kam es z.T. zur Akkumulation von Ton und anderem feinen Material. Das, was hier von den Dämmen gesagt ist, gilt im Prinzip auch für die dickeren Bäume, die dem Wasser im Wege standen. Zwischen solchen Dämmen oder den Bäumen verengte sich zwangsläufig wieder die Abflußbahn, was erneut zu höheren Fließgeschwindigkeiten führte. Die so verstärkte Erosionskraft schlug sich in der Zerstörung der Pflanzendecke und dem Abtrag der Humus- und Laubdecke nieder. Dabei ist besonders auf die Bedeutung der Mauselöcher hinzuweisen. Diese leisten der Erosion großen Vorschube. Wo das Wasser durch die Gänge der Nager floß, wurden in Oberflächennähe die Decken der Gänge abgehoben und weggespült. Die so entstandenen offenen, kleinen Gräben wurden vom Wasser schnell erweitert. Dabei wurde viel Boden abtransportiert, so daß an vielen Stellen die Baumwurzeln freigelegt wurden. Wo die Gänge sehr dicht beieinander lagen, wurden auch die Zwischenwände fortgespült. Nach Abfluß des Wassers blieb eine mit etwa 10 bis 20 cm tiefen Löchern und Rinnen übersäte Talsohle zurück.


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In die soeben beschriebene breite Talsohle, die vom Wasser in ihrer ganzen Breite durchflossen wurde, sind etwas weiter talab wiederum tiefe, grabenförmige Erosionsrinnen oder Tälchen in den Lößlehm des Talbodens eingegraben. Diese vereinigen sich schließlich, um sich dann erneut zu einem muldenförmigen Talgrund zu öffnen.

In die genannten Trockentälchen ergossen sich nun wasserfallartig die Wassermassen. Dabei kam es mit der Bildung eines Kolkes zu dem vielleicht spektakulärsten Beweis für die Weiterentwicklung der Formen im Talgrund.

Hier soll nun die Entwicklung des Auskolkung im einzelnen dargestellt werden. Die beigegebene Zeichnung - sie ist auf S. 127 vergrößert abgebildet - mag dabei den beschriebenen Vorgang etwas veranschaulichen.

In dem ebenen Talgrund kam das Wasser in breiter Front ab. Vor Einsetzen des Tälchens konzentrierte es sich in einer muldenförmigen Vertiefung auf eine Breite von ca. 2,50 m. In dieser Breite ergoß es sich schließlich hufeisenförmig in das Trockentälchen. Über den so entstandenen Wasserfall überwand das Wasser einen Höhenunterschied von 1 m. Die Folge der auf solche Weise erhöhten Erosionskraft war die Bildung eines Kolkes. Zuerst wurde der auch den Boden des Trockentälchens bildende Lößlehm ausgeschwemmt und fortgeführt. Nachdem die Deckschicht abgeschwemmt war, wurde auch die unter der Lehmdecke liegende Muschelkalk - Solifluktionsschuttdecke angeschnitten. Jetzt wurden selbst größere Steine ausgeräumt. Der Kolk wurde im ganzen auf 75 cm unter die alte Oberfläche eingetieft. Unterhalb der Auskolkung reichte die Transportkraft des Wassers dann nicht mehr aus, die aus dem Untergrund gerissenen Steine weiterzubefördern. So wurde das gerade erodierte Material z.T. wieder unmittelbar am Kolk akkumuliert. Der graduell abnehmenden Transportleistung entsprechend ergab sich dabei eine Sortierung des Materials, so daß sich zuerst die größten Steine und dann etwas weiter talab die kleineren ablagerten. Das meiste feinkörnige Material wurde dagegen weiter weggeschwemmt.


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In dieser muldenförmigen Abflußbahn stürzte das Wasser talab. Auf der rechten Bildhälfte ist der Wall aus Ästen und Zweigen zu sehen, auf der linken einige der eingeregelten Baumstämme.

 

Auf der ebenen Talsohle floß das Wasser in breiter Front ab. Dabei bildeten sich an Hindernissen Dämme aus Ästen.


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Ein Blick aus der Erosionsrinne in den Kolk. Die Blickrichtung ist also "bergauf".

 

Blick von oben ( d.h. von der Sohle des Trockentales) in die Auskolkung. Deutlich ist der angeschnittene Solifluktionsschutt erkennbar. Da der Kolk erheblich unter dem Niveau des Erosionsrinnenbodens liegt, steht in ihm noch etwas Wasser.


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Die im vorstehenden mitgeteilten Beobachtungen haben gezeigt, daß sich unsere Trockentäler auch heute noch weiterentwickeln. Was dem flüchtigen Betrachter als fertige Form und "ewig" erscheint, ist doch in einer ständigen Wandlung begriffen. Sind die Abtragungs- und Ablagerungsleistungen und damit die Veränderung der Oberflächengestalt in "normalen" Zeiten gering und unauffällig, so können die episodisch auftretenden, extremen Starkregen durchaus einen Formungsschub verursachen, der ohne Schwierigkeiten im Gelände erkennbar ist. Wenn man die der Natur zur Verfügung stehenden langen Zeiträume in die Überlegungen mit einbezieht, so läßt sich die beobachtete Entwicklung leicht in die Zukunft extrapolieren. Durch den Starkregen wurden die hier als "Trockentälchen" bezeichneten, in die eigentliche Talsohle eingesenkten Hohlformen um ungefähr einen halben Meter verlängert. Der Bodenabtrag war aber auch in den Abschnitten mit geringem Gefälle und breiten Abflußbahnen erheblich, wodurch die Talsohle in einigen Bereichen um etliche Zentimeter tiefergelegt wurde. Die schüttere Bodenvegetation des schattigen Waldes vermochte die Erosion, die durch die zahlreichen Mäusegänge begünstigt wurde, nicht zu verhindern.

Literatur:

BREMER, H.: Flußerosion an der oberen Weser. Göttinger Geograph. Abh. H. 22, 1959

HEMPEL, L.: Die Entstehung einiger anthropogener Oberflächenformen und ihre Ähnlichkeit mit natürlichen Formen in: Ergebnisse und Probleme moderner geographischer Forschung (Mortensen-Festschrift), Abhandlungen der Akademie für Raumforschung und Landesplanung Bd. 28, Bremen-Horn 1954

WILHELMY, H.: Geomorphologie in Stichworten, 2. Bd.: Exogene Morphodynamik, 5. Aufl. Kiel 1977

Bodenkarte von Nordrhein-Westfalen 1 : 50 000, Blatt L 4520 Bad Driburg (bearb. von H. DAHM-AHRENS)

Geolog. Karte 1 : 25 000, Blatt Brakel (1929, bearb. von W. WEISSERMEL), Blatt Bad Driburg (1955, bearb. von H. STILLE)


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