EGGE-WESER März 1983 Band 2 / Heft 1 24-29

ZUR FLORA DES SAMELSBERGS BEI MANRODE

Elisabeth Heldt, Warburg

Anfang Mai 1982 trafen Mitglieder unseres Vereins auf ein aufsehenerregendes Vorkommen der Frauenschuh-Orchidee im Altkreis Warburg. Das war Anlaß, die Umgebung des Standorts näher zu erkunden. In vier Begehungen von Mai bis September konnte ich einen ungefähren Einblick in die Flora dieses Gebiets gewinnen. Zu erschöpfenden Aussagen wären Beobachtungen über mehrere Vegetationsperioden hinweg notwendig.

Es handelt sich um den Samensberg (so auf dem Meßtischblatt) – im Volksmund Samelsberg oder Samesberg, auf Flurkarten auch Samisberg genannt – ca. 2 km Luftlinie nordöstlich von Manrode. Die Topographische Karte 4422 Trendelburg gibt einen guten Überblick über die geographische und politische Lage. Als Teil des südlichen Weserberglandes liegt der Samelsberg am Rande einer beackerten Hochfläche von etwa 240 m über Normalnull. Er erstreckt sich an dem nach Norden, Osten und Süden ziemlich steil abfallenden Hang bis auf 190 m NN wie eine Nase in die angrenzenden Täler hinein. Die hessische Grenze folgt dieser "Nase" in enger Anlehnung. Die vorherrschende Hanglage ist Süd, Südost bis Ost. Wie das Meßtischblatt zeigt, ist der Samelsberg – wenn man vom Hohen Berg bei Bühne absieht – das einzige nennenswerte Waldgebiet auf westfälischer Seite in diesem Quadranten, während sich auf hessischer Seite in seiner unmittelbaren Nachbarschaft umfangreiche Waldungen erstrecken.

Eigentümer des 8,15 ha großen Samelsberg-Waldes ist die Gemeinde Manrode, die zur Stadt Borgentreich gehört. Betreut wird das Gebiet vom städtischen Förster Heinrich Wiegard, Bühne, der den biologischen Belangen dieses botanisch sehr interessanten Waldes viel Verständnis entgegenbringt, und dem ich auch mancherlei Angaben verdanke.

Daß man sich auf Kalkboden befindet, merkt man bei der Anfahrt durch die Felder, wenn einem die mit Straßenschotter aus dem neuangelegtem Steinbruch am Samelsberg beladenen Lastwagen begegnen, die eine weiße Staubwolke hinterlassen. Der Wald selbst stockt auf Rendzina (Fleinserde), einem braunen Bodentyp aus Humuskarbonat, der auf Kalkstein entsteht und mit Kalksteinresten durchsetzt ist. Rendzina ist sehr fruchtbar, was sich in der reichen Flora bemerkbar macht. Neben Rendzina kommt auch etwas skelettreicher Sandlehm vor, ein mittelschwerer Boden, dessen Charakterpflanze die Distel ist.

Von der Forstwirtschaft her bringt zur Zeit die Fichte den Hauptertrag. Sie herrscht vor am Samelsberg. Da aber ein großer Teil in Endnutzung kurz vor dem Einschlag steht (bis 1988) und die LÖLF (Landesanstalt für Ökologie, Landschaftsentwicklung und Forstplanung ) vorgeschlagen hat, die Fichte zugunsten von Laubhölzern zurückzudrängen, können sich spätere Generationen auf


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einen schönen Laubmischwald freuen, wie er jetzt schon einige Hänge und vor allem den Nordwestrand des Samelsberg bedeckt. Offensichtlich handelt es sich hier um einen Femel- oder Plenterwald, der sich nach Entnahme einzelner Stämme selbst verjüngt. Nach Aussagen von älteren Leuten hat diese Waldart in früheren Zeiten wohl den ganzen Samelsberg bedeckt. Fichten soll es dort erst seit dem 1. Weltkrieg geben. In diesem naturnahen Laubmischwald wachsen neben 60 Jahre alten Buchen vor allem zahlreiche prächtige Stieleichen, viele Berg- und Feld-Ulmen, Hainbuchen und vereinzelt Eschen- und Sommerlinden. Bei der Durchforstung wird hier jetzt schon die auf Kalk standortfremde Fichte zurückgedrängt. Als Besonderheit sei das Vorkommen einiger Exemplare der seltengewordenen Elsbeere erwähnt. Auch die Eberesche findet sich hier und dort, häufig aber nur in Strauchhöhe. Am südlichen Waldrand trifft man öfter auf Espen und Feld-Ahorn in Baumhöhe.

Die Strauchschicht des Samelsberges ist besonders reich an Arten. Sie beherrscht die Wald- und Wegränder, bildet stellenweise auch Unterholz. Es kommen dort vor:

Von diesen Sträuchern verdient eine besondere Erwähnung der Seidelbast (Daphne mezereum), der in den meisten Ländern der Bundesrepublik unter vollkommenem Schutz steht. Er erreicht in Westfalen die Nordwestgrenze seines europäischen Areals und ist typisch für die Laubmischwälder unseres Gebietes. Er braucht nährstoffreiche, kalkhaltige Böden. Leider wird dieser hübsche, bis zu 1,50 m hohe Frühblüher immer wieder ausgegraben und in die Vorgärten verpflanzt, obwohl er unter Naturschutz steht. Warnung: Alle Teile des Seidelbasts, also auch die verlockenden roten Beeren, enthalten das scharfschmeckende Gift Mezerin! Auch die Weiße Waldrebe (Clematis vitalba) erreicht bei uns ihre Nordgrenze und kommt vor allem in den Kalkgebieten des Weserberglandes vor. Diese wärmeliebende Pflanze, eine der wenigen mitteleuropäischen Lianen, fällt vor allem im Herbst und Winter durch ihre zahlreichen bärtigen Fruchtstände auf. Am Samelsberg wachsen Waldreben mit armdicken Stämmen, die bis auf ca. 15-20 m hohe Bäume geklettert sind. Dank den Forstleuten, die ihnen das Leben gönnen! Die Literatur gibt die Höhe der Waldrebe mit 1 - 5 m an, selten bis 10 m. Somit verdienen diese Waldreben des Samelsberges als Sehenswürdigkeiten besonderen Schutz.


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Die im südöstlichen Teil des Weserberglandes häufig vorkommende Rote Heckenkirschen (Lomicera xylosteum) mit ihren paarweise auf einem Stiel sitzenden roten Beeren findet am Samelsberg günstigste Lebensbedingungen. Sie liebt kalkreichen, lockeren, etwas steinigen Lehmboden in Laub- und Mischwäldern. Nach Kreuzdorn (Rhamnus cathartica) und Pfaffenhütchen (Euonymus europaea), die gleiche Anforderungen an Boden und Klima stellen, habe ich vergeblich Ausschau gehalten. Die übrigen in der Liste aufgeführten Sträucher sind nicht typisch für das Weserbergland, sondern kommen überall vor. Als kalkliebende seien noch genannt: Roter Hartriegel (Cornus sanguinea), Eingriffliger Weißdorn (Crataegus monogyna) und Feldahorn (Acer campestre).

Von den Kräutern des Samelsbergs sollen hier nur die für den Wald und Waldrand typischen genannt werden. Die der angrenzenden Biotope (Wiesen, Halbtrockenrasen, Äcker, Feldwege) bleiben unberücksichtigt. Hier zunächst die alphabetische Übersicht:


Gräser

Farne

 

Auch aus dieser Liste müssen einige Pflanzen des Samelsbergs besonders hervorgehoben werden. Da sind zunächst die Orchideen. Die erwähnenswerteste ist der Frauenschuh. Er blühte im Frühjahr 1982 auf kleinstem Raum ( ca. 50 m2 in mehr als 60 Exemplaren, zum Teil zweiblütig. Zehn von ihnen trugen im September gesunde kräftige Samenkapseln. Außer den blühenden fanden sich etwa doppelt so viele nichtblühende Pflanzen. Der Standort liegt ideal im Halbschatten und gibt die Möglichkeit der weiteren Ausbreitung. Diese vom Aussterben bedrohte Orchidee ist sehr selten geworden, da sie als hübsche Blume gepflückt und ausgegraben wird. Sie steht natürlich vollkommen unter Schutz. In Westfalen findet man sie fast nur noch am Osthang der Egge und im Oberwesergebiet (Runge), wie hier am Samelsberg. Die anderen vorkommenden Orchideen, das Stattliche oder Manns-Knabenkraut, das Große Zweiblatt und die Nestwurz sind nicht ganz so selten wie der Frauenschuh, stehen aber alle unter Naturschutz. ----- Die Haselwurz, eine eigenartige Pflanze, deren glänzende, immergrüne nierenförmige Blätter dem Wurzelstock entspringen, verbirgt ihre glockenförmigen braunen Blüten so sehr, daß man sie fast aus dem Mull herausholen muß, will man sie sehen. Sie ist im Laubwald und an den Rändern des Fichtenwaldes am Samelsberg erfreulich häufig anzutreffen und bedeckt oft größere Flächen. Sie gehört zu den potentiell gefährdeten Pflanzen Nordrhein-Westfalens ( s. Rote Liste ) und kommt nur im östlichen und südöstlichen Westfalen sehr zerstreut vor. ---- Die Tollkirsche ist zwar typisch für die Kalklandschaften des Weserberglandes, aber nicht sehr häufig. Sie findet am Samelsberg günstigste Standortbedingungen ( Licht, Wärme, lockeren kalkhaltigen Humusboden ) und entwickelt


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ihre kirschgroßen, glänzendschwarzen, sehr giftigen Beeren in großer Anzahl. Ich habe Einzelstauden mit mehr als 200 Beeren gezählt, ein herrlicher Anblick in der Herbstsonne ! ---- Die Frühlings-Platterbse, ein auffallend hübscher Frühblüher, ist in Westfalen selten, am häufigsten im Diemelgebiet. ---- Das Wald-Labkraut kommt auf den Kalkböden des Suder- und Weserberglandes zerstreut vor, in übrigen Westfalen äußerst selten. ---- Die Hain-Klette findet sich in Westfalen ebenfalls nur zerstreut und fast ausschließlich in den Kalkgebieten. Das Gleiche gilt vom Christophskraut und vom Hexenkraut. Erwähnenswert ist auch das Vorkommen der Einbeere, die man in Westfalen nicht allzu häufig antrifft. Ihre etwa kirschgroße blauschwarze Frucht enthält Saponine. Maiglöckchen, Wald-Schlüsselblume, Lungenkraut, Sanikel, Weißwurz, Gold-Hahnenfuß, Waldmeister und Aronstab sind für unsere Gegend keine Seltenheiten. Sie sind alle mehr oder weniger an Laubwälder auf Kalkboden gebunden und finden am Samelsberg ideale Verhältnisse.

Die vorherrschenden Gräser des Samelsberges – Flattergras, Einblütiges Perlgras, Hain-Rispengras, Wald-Trespe, Wald-Gerste und Wald-Segge – zählen zu den Charakterarten der Gesellschaften der Edel-Laubwälder. Sie begleiten Buche, Eiche und andere Laubhölzer. Da ihre Ansprüche an den Boden verschieden sind, von nährstoffreichen alkalischen Böden bis zu nährstoffreichen kalkarmen, schwach humussauren, ist wohl auch der Waldboden des Samelsbergs nicht von einheitlicher Beschaffenheit. Das ist auch an den nicht allzu üppig vorkommenden Farnen zu erkennen. Der Wurmfarn ist kalkhold, wenn auch nicht kalkstet. Der Frauenfarn zieht schwachsaure Standorte vor, und der Dornfarn gehört zu den säureliebenden Gesellschaften der Edel-Laubwälder. Durch Verwitterung und längeren Anbau von Fichten ist dieser verschiedene PH-Gehalt des Bodens am Samelsberg wohl zu erklären.

Nach den bei Runge genannten Pflanzengesellschaften steht der Laubwald am Samelsberg dem Perlgras-Buchenwald und dem Orchideen-Buchenwald am nächsten. Doch deutet die vorkommende Flora auch auf eine Reihe anderer Pflanzengesellschaften hin ( z.B. sehr stark auf den Aronstab-Eichen-Hainbuchenwald ), die aber alle unter die Obergruppe "Buchen- und Edellaubmischwälder" fallen.

Anschließend sei betont, daß der Samelsberg ein botanisch sehr interessantes Gebiet ist. Schon das reiche Vorkommen von Frauenschuh und die ausgedehnten Bestände der Haselwurz sind einmalig. Andere seltene Pflanzen könnten sich bei richtiger Pflege weiter ausbreiten. Die bunte Frühlingsflora des Laubwaldes ist eine Augenweide für jeden Spaziergänger. Eine unmittelbare Gefahr für die Pflanzen- und Tierwelt des Samelsberges sehe ich zur Zeit nicht, da der Wald forstlich gut betreut wird. Leider ist seit einem Jahr ganz nah am oberen Westrand des Waldes ein privater Stein- bzw. Schotterbruch in Betrieb, der das Landschaftsbild stört und die Grundwasserverhältnisse des Hangwaldgebietes negativ beeinflussen könnte. Damit würde eventuell seltenen Pflanzenarten der Lebensnerv abgeschnitten.

 


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Benutzte Literatur

AICHELE: Was blüht denn da ? Kosmos-Naturführer, 36. Auflage; Stuttgart 1976

BAYERISCHES STAATSMINISTERIUM FÜR LANDWIRTSCHAFT UND UMWELTFRAGEN: Schützen und blühen lassen ! 2. Auflage, München 1978

HAEUPLER, MONTAG, WÖLDECKE: Verschollene und gefährdete Gefäßpflanzen in Niedersachsen. Hannover 1976

LÖLF : Schriftenreihe Bd. 4, Rote Liste der in Nordrheinwestfalen gefährdeten Pflanzen und Tiere. Recklinghausen 1979

MITCHELL: Die Wald- und Parkbäume Europas. 2. Auflage, Berlin 1979

MÜLLER-KAST: Die geschützten Pflanzen Deutschlands. Stuttgart 1969

OBERDORFER: Pflanzensoziologische Exkursionsflora. 4. Auflage, Stuttgart 1979

ROTHMALER: Exkursionsflora, Kritischer Band, Berlin 1976

RUNGE: Die Flora Westfalens, 2.Auflage, Münster 1972

RUNGE: Die Pflanzengesellschaften Deutschlands 4./5. Auflage, Münster 1972

 

Nachtrag

Nach Fertigstellung der Arbeit über die Flora des Samelsbergs erhielt ich von Herrn Preywisch die Angabe, daß er im Frühjahr 1982 dort etliche Exemplare der Schuppenwurz (Lathraea squamaria) gefunden hat. Dieser auf Wurzeln von Gehölzen schmarotzende Rachenblütler ist in Westfalen sehr selten und zählt zu den potentiell gefährdeten Pflanzen der Roten Liste in Nordrhein-Westfalen.


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