EGGE-WESER 1985/01 Band 3 / Heft 1 20-24

Anmerkungen über das Ausbringen von Wildpflanzen

Heinz Lienenbecker

1. Das Auftauchen fremder Arten

Wenn man als Botaniker vertraute Standorte nach längerer Zeit einmal wieder aufsucht, wird man immer wieder Überraschungen erleben. Es tauchen plötzlich Arten auf, die dort nie beobachtet worden sind. Auch in der Literatur findet man immer häufiger Hinweise auf das Neuauftauchen bestimmter Raritäten (z.B. Bocks-Riemenzunge auf der Paderborner Hochfläche, Gelber Enzian im Vellner Steinbruch, Sumpf-Porst im Emsdettener Venn, Großfruchtige Moosbeere im NSG Kipshagener Teiche etc.).
Zwei Blütenstände des Hasenglöckchens (Scilla non-scripta) überragen im Frühsommer 1984 gerade noch die Blätter des Giersches. Entdeckt an einem Weg bei Nieheim. In diesem Fall darf vermutet werden, daß die bereits an mehreren Stellen Westfalens verwilderte Zierpflanze mit Gartenabfällen an diese Stelle gelangt ist. Foto: K. Preywisch
Der Beispiele gibt es viele in Flora und Fauna. Wenn man der Frage der Herkunft nachgeht, findet man fast immer die gleiche Antwort: Wohlmeinende Naturliebhaber oder Naturschützer haben die Art dort angepflanzt, eingebracht, ausgesät oder angesalbt. Besonders in den letzten Jahren hat die Ansalbung von Arten rapide zugenommen, so daß einige Anmerkungen aus botanischer und vegetationskundlicher Sicht notwendig erscheinen.

2. Beispiele für Fehlentwicklungen

In den letzten Jahren sind in Nordrhein-Westfalen eine Vielzahl von Kleingewässern als Amphibien-Biotope angelegt worden. Die Uferzonen und Randbereiche wurden vielfältig bepflanzt. Die Arten wurden aus der freien Natur entnommen oder entstammen Staudengärtnereien. Auch wurden immer wieder Fälle bekannt, daß Gartenteichbesitzer ihre "Schätze", die sich unter ihrer Pflege besonders stark vermehrt hatten, in die freie Landschaft einbrachten. Das Ziel war immer, ein möglichst fertiges Habitat zu schaffen. Standortansprüche, Klimafaktoren, Herkunft, Arealgrenzen u. ä. wurden dabei in den seltensten Fällen berücksichtigt. Dabei weiß jeder Vegetationskundler , daß sich die natürliche Vegetation an neu geschaffenen Standorten innerhalb weniger Jahre von selbst einfindet. Man könnte viel Zeit, Arbeit und Geld einsparen, wenn man mehr Geduld haben und der Natur mehr Zeit lassen würde, sich selbst zu regenerieren. Auf jeden Fall würden sich nur standortgerechte, einheimische Arten einfinden und sich zu einer natürlichen Pflanzengesellschaft weiterentwickeln.

Zahlreiche Sand- und Kiesgruben sowie Steinbrüche werden im Zuge groß angelegter Rekultivierungsmaßnahmen verfüllt. Wenn es auch einerseits richtig ist, Wunden in der Landschaft wieder zu verschließen, darf auf anderer Seite nicht außer acht gelassen werden, daß sich an solchen Sonderstandorten interessante Lebensgemeinschaften mit einer großen Zahl gefährdeter Arten ansiedeln, die in ganz besonderem Maße schutzwürdig sind. Wenn man sich aber einmal die angepflanzten Gehölze auf rekultivierten Flächen ansieht, hat man den Eindruck, sich in einer Baumschule zu befinden. Exoten aus allen Kontinenten werden oftmals mit Billigung der zuständigen Behörden angepflanzt, um die Flächen möglichst schnell zu verstecken. Auch in diesem Fall wäre weniger mehr. Eine sich selbständig entwickelnde Ruderalflur würde sich langfristig auch wieder über ein Gebüschstadium zu einem Gehölz entwickeln und wäre ökologisch wertvoller als eine Ansammlung von Parkgehölzen.


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Auch neu angelegte Böschungen und Straßenränder werden heute nicht immer nach vegetationskundlichen Gesichtspunkten eingesät bzw. bepflanzt. Da werden Gehölze aus Asien und Nordamerika genau so wie heimische Arten gepflanzt, und die Wildraseneinsaaten enthalten eine Vielzahl von exotischen Gästen, die glücklicherweise in der Mehrzahl unsere Winter nicht überstehen.

Neben diesen bewußten und zum Teil großflächigen Anpflanzungen gibt es immer wieder Fälle, daß Reisende im Urlaub eine Pflanze "besonders schön" finden, ausgraben und in die freie Landschaft einbringen, daß sie irgendwo eine besondere Seltenheit mitnehmen und auspflanzen, daß sie bewußt Arten in bestehende Naturschutzgebiete einbringen, weil sie dort geschützt sind. Solche Anpflanzung geschieht vor allem mit Arten der "Roten Liste" und besonders in Naturschutzgebieten und
Eine "Apennin-Anemone" (Anemone apennina) blühte im Sommer 1984 in der "Helle" zwischen Brakel und Hainhausen am Straßenrand. Die im Mittelmeergebiet heimische Pflanze dürfte sich als eine nur kurzlebige "Bereicherung" unserer Flora erweisen. Foto: R. TEWES
naturschutzwürdigen Flächen, um die Wertigkeit eines Gebietes zu erhöhen. Erreicht wird genau das Gegenteil: Durch die Ansalbung gefährdeter Arten wird die Schutzwürdigkeit wegen der Eingriffe in das Artengefüge herabgesetzt.

Solche Vorhaben werden unterstützt durch einige aus botanischer Sicht äußerst fragwürdiger Aktionen, die in den letzten Jahren angelaufen sind. Da wird aufgerufen zum Sammeln von Wildkräutersamen , da werden "Patenschaften" für bestimmte Arten vermittelt, da werden Samen unbekannter Herkunft verschickt mit der Aufforderung, "sie an geeigneter Stelle in der Natur" auszusäen. Auch die Naturgartenbewegung mit ihren Wildblumenrasen trägt zur Verarmung und Verfälschung unsere Flora bei.

3. Gründe gegen solche Ansalbungen

Aus den vorangegangenen Einzelbeispielen lassen sich bereits Gründe gegen das Ausbringen von Wildpflanzen ableiten, die ich im folgenden noch einmal präzisieren möchte: 

3.1 Wer ansalbt begeht Florenverfälschung

Unsere Flora ist in ihrer Zusammensetzung in Jahrhunderten gewachsen. Den ökologischen Standortfaktoren, der genetischen Konstitution und der historischen Entwicklung entsprechend haben die Arten unserer heimischen Flora charakteristische Verbreitungsbilder. Jedes Einbringen fremder Arten nimmt nicht nur heimischen Arten den Lebensraum, es verwischt gleichzeitig die natürlichen Arealgrenzen und verfälscht unser heimisches Arteninventar. Zahlreiche verwilderte und angesalbte Zierpflanzen haben sich zu gefürchteten Massenunkräutern entwickelt (z.B. Goldruten-Arten, Astern-Arten, Franzosenkraut, Wasserpest, Strahlenlose Kamille).

3.2 Wer ansalbt verfälscht das Arteninventar heimischer Pflanzengesellschaften

Pflanzen wachsen in der freien Natur nicht willkürlich, sie gehen bestimmte, den Umweltbedingungen und Standortansprüchen angepaßte, in einem Gleichgewicht stehende Lebensgemeinschaften, sogenannten Pflanzengesellschaften, ein. Jede Pflanzung hat eine Verschiebung des Arteninventars, eine Veränderung dieses Gleichgewichts, oft eine Vernichtung bereits vorhandener Arten zur Folge.


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3.3 Ungewißheit über den Status der Arten im Hinblick auf die Erstellung "Roter Listen

Die Aufnahme von Arten in die "Roten Listen" gilt nur für ursprüngliche (autochthone) Vorkommen. Gesicherte Aussagen über den Rückgang und die Gefährdung einer Art sind bei zunehmender Verfälschung der Flora nicht mehr möglich. In der Neufassung der "Roten Liste Nordrhein-Westfalen", die in diesem Winter erscheinen wird, werden alle Arten, die häufig angesalbt werden, mit einem "S" gekennzeichnet sein, um deutlich zu machen, daß die Einstufung nur für autochthone Vorkommen gilt. Durch Ansalbung wird der Gebrauch der "Roten Listen" und ihr Aussagewert erschwert.

3.4 Ausrottung bestehender Populationen

Durch Aufrufe zum Sammeln von Wildkräutersamen und durch das Ausgraben an natürlichen Standorten werden bestehende Populationen gefährdet bzw. zerstört. Es ist keine Gewähr gegeben, daß Stauden an ihren neuen Standorten wirklich angehen und sich langfristig halten. Bei Orchideen zum Beispiel liegt die Erfolgsquote unter 20 Prozent.

3.5 Erhaltung eingebrachter Arten am Ersatzstandort

An- und Umpflanzaktionen sind in der Regel, vor allem bei stark schutzwürdigen Arten, von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil
a) die Biologie der Arten zu wenig bekannt ist,
b) die Biologie der Arten zu wenig berücksichtigt wird,
c) artspezifische Pflegemaßnahmen unterbleiben,
d) Maßnahmen zur langfristigen Sicherung der Standorte fehlen.

3.6 Verfälschung des Gen-Potentials

Beim Ausbringen der Pflanzen auf Standorte in der freien Natur wird die Herkunft der Pflanzen nicht beachtet. Pflanzen aus anderen Regionen gehören oft anderen geographischen Rassen an. So sind zum Beispiel die Salzpflanzen des Binnenlandes nicht identisch mit denen auf den Salzwiesen der Küste, obwohl sie der gleichen Art angehören. Durch Einkreuzen der eingebrachten Rasse mit der vorhandenen Rasse kann es zu einer Veränderung des Erbgutes der vorhandenen Rasse und damit zu ihrer Schädigung kommen.

3.7 Gefahr der Alibi-Funktion bei geplanten Eingriffen

Wenn von vornherein Umpflanzungen mit in Planungen einkalkuliert werden können, haben wir keine Möglichkeit mehr, Biotopzerstörungen und Eingriffe in den Naturhaushalt zu verhindern. Hierin liegt sicherlich die allergrößte Gefahr!

Aus den aufgeführten Beispielen ist sicherlich deutlich erkennbar, daß das Ausbringen von Wildpflanzen kein geeignetes Mittel des Artenschutzes ist. Unsere Bemühungen müssen verstärkt dem Biotopschutz, der Erhaltung schutzwürdiger Bereiche und der Pflege bestehender Schutzgebiete gelten.

4. Gesetzliche Bestimmungen

Regelungen für das Ausbringen von Wildpflanzen ergeben sich aus folgenden gesetzlichen Bestimmungen: der Bundesartenschutzverordnung vom 25.08.1980, dem Bundesnaturschutzgesetz von 20.12.1976, dem Landschaftsgesetz Nordrhein-Westfalen vom 26.6.1980. Ferner müssen die Verordnungen bei der Neuausweisung von Naturschutzgebieten berücksichtigt werden.
Danach ist es verboten, Pflanzen der besonders geschützten Arten (und hierunter fallen die meisten der für Ansalbungen genutzten Arten) auszugraben, abzuschneiden, abzupflücken, aus- oder abzureißen. Diese Pflanzen oder Teile davon dürfen auch nicht in Besitz genommen, erworben, veräußert oder sonst in den Verkehr gebracht werden. Die Verordnungen für Naturschutzgebiete untersagen ebenfalls das Einbringen von Wildpflanzen. Leider gibt es noch keine gesetzliche Verordnung, die das Aussetzen oder Ansiedeln gebietsfremder Pflanzen generell verbietet, wie es im Landschaftsgesetz für die Tierwelt festgeschrieben ist.


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5. Leitlinien zur Ausbringung von Wildpflanzen

Vom 22. bis 24. Oktober 1980 fand ein in Bad Windsheim von der Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege und der Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschafts-Ökologie veranstaltetes Kolloquium statt, in dem "Leitlinien zur Ausbringung heimischer Wildpflanzen" verabschiedet wurden. Die folgenden Punkte sind (leicht verändert und gekürzt) aus dem vom Deutschen Naturschutzring herausgegebenen Merkblatt gleichen Titels entnommen:

Der Schutz gefährdeter heimischer Wildpflanzen ist vorrangig durch die Erhaltung ihrer Lebensräume zu gewährleisten. Das Ausbringen heimischer Wildpflanzen kann als Mittel der Erhaltung nur eine Notmaßnahme sein. Es dient nur unter folgenden Voraussetzungen dem Artenschutz:

a) Die Art wird nur innerhalb ihres Verbreitungsgebietes ausgebracht.

b) Das Saat- oder Pflanzgut stammt von einem nahegelegenen Vorkommen der gleichen Art, ohne daß diese geschädigt wurde.

c) Der Ausbringungsort entspricht den Standortansprüchen der Art.

d) Die notwendige Pflege des Wuchsortes ist gesichert.

e) Jede Ausbringung wird wissenschaftlich betreut und dokumentiert.

Die Ausbringung sollte vorzugsweise auf künstlich geschaffenen Standorten und nicht mehr bewirtschafteten Flächen vorgenommen werden. In Naturschutzgebieten muß sie unterbleiben. Die Ausbringung sollte mit den zuständigen Behörden (LÖLF, ULB) abgestimmt werden.

 

Anschrift des Verfassers: Heinz Lienenbecker, Traubenstr. 6 b, Steinhagen

Anmerkung der Redaktion: Als wir diesen Artikel in der GNS-Info 1/84, S. 3 - 6, lasen, fanden wir, daß er uns aus der Seele gesprochen war. Der Verfasser, Herr Lienenbecker, war sofort damit einverstanden, den Artikel auch unserer Zeitschrift zur Verfügung zu stellen. Herr Lienenbecker ist ein bekannter Geobotaniker und Leiter der Regionalstelle für die floristische Kartierung Westdeutschlands, die für unseren Raum zuständig ist. Die GNS (Gemeinschaft Naturschutz Senne und Ostwestfalen) ist ein Zusammenschluß von rund 700 meist jungen und sehr aktiven Naturschützern. Sie wurde als 30-ster Verein in die LNU (Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt NW), der wir auch angehören, aufgenommen.


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Oben: Linum austriacum. Dieses Stück des Österreichischen Leins war das einzige, das Herr W.ROSE am 31.5.84 in mitten von Orchideen oberhalb Ostheims im Diemeltal fand (4421/44). Die Fundstelle liegt rund 1,5 km von der westfälischen Grenze entfernt in Hessen in einem Halbtrockenrasen mit Obstbäumen. Diese Leinpflanze hat blaßblaue Kronblätter mit gelbem Grund und ist wahrscheinlich in diesem Raum seit längerer Zeit aus Gärten verwildert. Foto ROSE

Rechts: Agrostemma githago. Die Kornrade war früher ein häufiges Ackerunkraut. Sie fiel der Unkrautbekämpfung am ehesten zum Opfer, denn ihre Samen bleiben nur kurze Zeit keimfähig. Immerhin konnte man ihre trüb-purpurnen Blüten noch nach 1945 an wenigen Stellen des Kreises im Getreide leuchten sehen. Heute ist die giftige Art verschwunden. Foto LIENENBECKER



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