EGGE-WESER 1986 Band 3 / Heft 4 173-176
Der "Marderhund" im Solling!

Volker Konrad

Am 1.3.1985 erschien im Täglichen Anzeiger Holzminden ein Artikel mit Foto über den Abschuß eines Marderhundes bei Neuhaus im Solling. Das Foto zeigt den glücklichen Schützen mit seiner Beute. - Soweit mir bekannt wurde, erschienen entsprechende Notizen auch in der Jagdpresse. Da ich keine Jagdzeitschriften beziehe, kenne ich die Texte nicht.

In der Folge erschienen im TAH am 16. und 25.3. Leserbriefe, die den Abschuß eines solchen Seltlings grundsätzlich kritisierten. Der Leserbrief von T. Weihe am 16.3. deutete auch Zweifel an der Richtigkeit der Bestimmung des Tieres an - ohne daß der Autor das Stück gesehen hatte!

Von befreundeten Jägern erfuhr ich, daß auch in diesen Kreisen - und in der Jagdpresse veröffentlicht - solche Zweifel geäußert wurden. Dementsprechend brachte der TAH am 13.4.1985 eine Kurznotiz mit der Überschrift "War es nun ein Marderhund oder ein Blaufuchs?" - Der Leiter des Wisentgeheges Springe wurde zitiert, der anhand eines im "Niedersächsischen Jäger" veröffentlichten Fotos der Bestimmung als Marderhund widersprach. Der Verdacht, es mit einem Blaufuchs zutun zu haben, wurde geäußert, eine Klärung gefordert. - Andererseits hieß es von meinen Freunden, daß alle, die das tote Tier gesehen hatten, überzeugt gewesen wären, daß es ein Marderhund sei!

Leider wurde das Tier umgehend zu einem Präparator gageben. Daher konnte ich selber mich nicht früher mit der Frage beschäftigen. - Obwohl ich noch nie einen Marderhund (Nyctereutes procyonoides) gesehen hatte.- auch nicht in Gefangenschaft - hatte auch ich starke Zweifel. Diese basierten auf einer Anzahl von Einzelheiten:

  1. Das Foto im TAH zeigt das Gesicht des Tieres und dieses ist zweifellos nicht das "Waschbär-Gesicht", das die Literatur für den Marderhund beschreibt. Allerdings hat auch das ausgestopfte Exemplar im Jagdschloß Springe nicht diese Zeichnung. - Ich fuhr extra nach Springe, um mir dort Marderhunde anzusehen. - Dieses präparierte Stück ist wohl der Erstnachweis für Niedersachsen. Es ist sehr hell, vielleicht einfach ausgeblichen und verstaubt (?).
    Die beiden lebenden Marderhunde im Wisentgehege sind dagegen sehr schön kräftig gezeichnet.
  2. Das Foto im TAH zeigt einen langen, kräftigen hellen Schwanz - eine typische Fuchsrute ohne Luntenzeichnung. Marderhunde haben aber einen ausgesprochen "kümmerlich und unansehnlichen" kurzen Schwanz! Der soll laut Literatur zwar buschig sein, aber weder das Präparat im Jagdmuseum noch die Tiere im Wisentgehege können sich mit dem Neuhäuser "Marderhund" vergleichen. Im übrigen sind die Schwänze dieser Tiere dunkel!
  3. Die Gewichtsangabe im TAH ist sensationell: 13 KG!! - Fast doppelt so hoch, wie in der Literatur für Marderhunde "vorgeschrieben" (4-10 KG - durchschnittlich etwa 7 KG).
    Zweifellos sind hier "Pfunde zu Kilos" gemacht worden. - Sollten die 13 KG stimmen, wäre das Gewicht für einen Rotfuchs außergewöhnlich (6-10 KG), normaler für den größeren nordamerikanischen Silberfuchs. - Diesen Hinweis verdanke ich einem befreundeten Forstmann. Daten über Silberfüchse habe ich nicht.
  4. Laut Literatur halten Marderhunde eine Winterruhe, die nur an warmen Tagen unterbrochen wird. - Der Abschuß erfolgte aber "am sonnigen Nachmittag" bei "hohem Schnee" und "klirrender Kälte"! - Im übrigen gelten Marderhunde als ausgesprochen dämmerungs- und nachtaktiv.

 

Inzwischen wurde das seltene Stück ausgestopft. Am 4.2.1986 konnte ich durch Vermittlung eines Freundes einen Blick darauf werfen und ein paar Aufnahmen machen. Ich danke Herrn Klein junior für die freundliche Bereitschaft, mir das Tier zu zeigen und die Aufnahmen zu gestatten.

Meines Erachtens handelt es sich um einen Eis- oder Polarfuchs (Alopex lagopus) der grauen Phase, einen sogenannten "Blaufuchs". - Typische Eisfüchse sind im Winterpelz schneeweiß. Anbei ein Foto aus dem Zoo Hannover.

Da ich kein Säugetier-Fachmann bin, sollte man das Bild - besser das Präparat - nochmal einem Spezialisten vorlegen und prüfen lassen.

Das Tier wirkt sehr groß und stark - wie ein Rotfuchs. Meines Erachtens sind Eisfüchse - normalerweise - kleiner. (Die Gewichte laut Literatur sind für den Rotfuchs 6-10 KG - für einen Eisfuchs 4,5-8,8 KG.)

Die Läufe sind relativ lang und vorderseits dunkel. Vielleicht spricht das gegen einen "reinen" Blaufuchs?

Die Sohlen sind offenbar dicht silbergrau behaart, soweit am Standpräparat erkennbar. Das sollte wiederum den Blaufuchs bestätigen.

Das Gesicht wirkt auf mich nicht typisch dicht behaart, nicht "rund" genug. Ohren und Schnauze ragen etwas Rotfuchs-artig "spitz" heraus.

All diese Eindrücke mögen durchs mangelhafte Präparieren erklärt werden. - Sie könnten aber auch darauf hinweisen, daß wir es mit einem Bastard zu tun haben, z. B. Rotfuchs x Eisfuchs, Silberfuchs x Eisfuchs. - Gibt es solche Kreuzungen? - Laut Fehringer gibt es sie nicht!?

Ich habe keine Zweifel, daß das Tier irgendwo aus Gefangenschaft entwich, vielleicht ist es sogar freigesetzt worden. Und in Gefangenschaft, z. B. in Pelztierfarmen, werden bekanntlich gezielt Kreuzungen versucht. - Vielleicht ist der Fall interessant genug für einen Fachmann.


Literatur:

Anonymus, TAH 13.4.1985: "War es nun ein Marderhund oder ein Blaufuchs?"

F. H. van den Brink, 1956: "Die Säugetiere Europas"

W. H. Burt & R. P. Grossenheider, 1976: "A Field Guide to the Mammals"

G. Corbet & D. Ovenden, 1980: "Pareys Buch der Säugetiere"

O. Fehringer, 1953: "Die Welt der Säugetiere"

C. König, 1976: "Wildlebende Säugetiere" .

B. Pommerening, TAH 1.3.1985: "Marderhund zum ersten Mal im Südsolling aufgetaucht"

J. Voß, TAH 25.3.1985: "Aus dem Herzen gesprochen"

T. Weihe, TAH 16.3.1985: "Regulierung durch Abschuß noch nicht notwendig"

 

Anschrift des Verfassers: Volker Konrad, Moltkestr. 6,
                                         3450 Holzminden