EGGE-WESER 5(2) Seite: 51-55 Höxter 1988

Winterfütterung

von Volker Konrad

Im Dezember holen viele Tierfreunde die Futterhäuschen aus dem Keller und bauen sie für unsere "Gefiederten Freunde" auf. - Das Füttern der Vögel im Winter ist den Menschen - auch in anderen Ländern - eine Selbstverständlichkeit geworden, wird aber nirgends auf der Welt mit einem derartigen Aufwand betrieben, wie in Deutschland. Darüber hinaus ist diese Darstellung der Tierliebe auch nirgendwo industriell und wirtschaftlich so durchorganisiert wie in der Bundesrepublik.

Es besteht kein Zweifel daran, daß das winterliche Füttern der Vögel in Deutschland Formen angenommen hat, die an dem ursprünglichen Ziel vorbeigehen und das aus Naturschutz-Sicht notwenige Maß weit übertreffen. Hier finden wir entscheidende Ansätze zur Kritik. Und so werden die Tierfreunde sicherlich auch im kommenden Winter wieder mit kritischen Kommentaren zur Winterfütterung konfrontiert werden, vielleicht sogar mit Aufrufen, die Fütterung einzustellen! Deshalb sollte sich jeder genau überlegen, was er bezwecken will und was er eigentlich tut, bevor er sein Vogelhäuschen aufbaut.

Längst ist das Füttern nicht mehr die tierfreundliche Geste, "das Hinwerfen von ein paar Krümeln", die sonst im Müll gelandet wären. Stattdessen finden wir heute in den Siedlungen eine erhebliche Futterhaus-Dichte, und viele Futterstellen werden regelmäßig und überreichlich beschickt. Manche Vogelfreunde stellen ganze Säcke voller Futter bereit, damit es ja nie knapp werde!

Außerdem wird nicht nur in Notzeiten gefüttert, sondern schon im Herbst begonnen und bis ins späte Frühjahr durchgehalten. - Manche Leute füttern sogar das ganze Jahr über!

Dabei machen sich solche "Vogelfreunde" wenig Gedanken über das, was sie anrichten, und übersehen nur zu gerne, daß hier nicht nur nachhaltig in den Jahresablauf der Vögel eingegriffen wird (denn wer kann sich darunter schon etwas vorstellen!?), sondern "konkret" sogar erhebliche Bestandsverluste ausgelöst werden.

Der Winter stellt für alle einheimischen Vogelarten die entscheidende natürliche Auslese dar. Diese Auslese ist notwendig, um kranke und alte, schwache Tiere aus dem Bestand "herauszufiltern". - Das klingt hart und grausam! Aber die

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Natur sieht emotionslos den Vorteil der Überlebenden: Gesundheit und Stärke für den Überlebenskampf, und Platz und Nahrung um ohne unnötige Konkurrenz und Hunger im kommenden Jahr den Nachwuchs hochzubringen. - Es spielt keine Rolle, wie dem Winter begegnet wird. Manche Vogelarten bleiben hier und versuchen der Witterung zu trotzen. Andere ziehen fort, und versuchen den Schwierigkeiten auszuweichen. Beide Möglichkeiten und alle Zwischenformen beinhalten Risiken, die die biologisch notwendige Auslese gewährleisten! - Vor diesem Hintergrund ist das Füttern ein Eingriff in den Natur-Haushalt, der nicht zu verantworten ist!

Da es zivilisierten Menschen aber kaum zuzumuten ist, daß sie "emotionslos" zusehen, wenn vor ihren Augen Tiere vor Hunger sterben, wird eben doch gefüttert! - Man sollte sich aber beim Füttern sinnvollerweise auf ein Minimum beschränken, - eben um zu verhindern, daß zu viele sterben. (-Und um die Not der Tiere nicht so deutlich sichtbar zu machen.) D.h., man sollte vor allem nur dann füttern, wenn wirklich akute Gefahr besteht, also bei tagelangen Regen- und/oder langen Frostperioden - sonst nicht!  Es geht also um den gezielten Einsatz mit Augenmaß: Zur rechten Zeit am rechten Fleck!

Auch ein leeres Futterhäuschen wird sehr wohl registriert. Die Vögel kennen diese Geräte und finden sie, wenn sie sie brauchen. Man braucht daher nicht wochenlang anzufüttern, um den Vögeln zu zeigen, wo es im Notfall etwas geben wird. So eine Futterstelle kann durchaus den ganzen Winter über nicht oder nur wenig (dann aber regelmäßig - und immer frisches Futter!) beschickt werden. Wichtig wäre nur, daß sie sauber bleibt und daß die Vögel dann etwas darin finden, wenn es wirklich hart wird. (Solche Situationen sind bei uns im Weserbergland äußerst selten, kaum ein paar Tage in jedem Winter!) Dann könnte man bei längerem Frost und in Regenperioden etwas füttern. - Man sollte sich immer vor Augen halten: Natürlicherweise müssen die Vögel ohne Hilfe auskommen können!

Man kann sich vorstellen, was geschieht, wenn die natürliche Auslese (durch den Winter) den Bestand nicht genügend dezimiert: Die Folge wäre eine kopfstarke Population mit hohem Anteil schwacher, wenig widerstandsfähiger Individuen. Zur Brutzeit gäbe es unnötig viele Kämpfe um die besten (möglicherweise viel zu wenigen) Reviere. Da würden sich zwar auch nur die stärksten durchsetzen, aber um den Preis, daß sie sich in vielen Kämpfen aufreiben würden, wenig Zeit zur Brut und Jungenaufzucht hätten. Möglicherweise verletzen sie sich in den Kämpfen, sterben womöglich, finden im Konkurrenzkampf nicht genug Futter für die Jungen und sich selbst. Und natürlich müßten sie sich den verbleibenden Raum in viele enge, kleine Reviere teilen. Das kann in Notzeiten schnell zu Futtermangel führen. - Folge wäre eine hohe Jungensterblichkeit durch verhungern im Nest, also ein geringer Bruterfolg. (Wer seine Nistkästen pflegt, findet beim herbstlichen Reinigen oft ganze Bruten mumifiziert!) - Die Natur regelt sich selbst! Aber ist das Verhungern der Jungen im Nest nicht mindestens genauso "jämmerlich" und "grausam" wie die winterliche Auslese? - Ich halte es sogar für noch "grausamer" als das Verhungern einzelner kranker und schwacher Altvögel im Winter. Denn man sollte an die Zukunft denken: Während die winterliche Auslese eine "Elite" an gesunden Überlebenden erhält, bringt die künstliche Bestandskorrektur durch Füttern im ersten Schritt eine Überpopulation zur Brutzeit und im zweiten Schritt übermäßige Konkurrenz mit sterbenden Jungvögeln und zuletzt einen geschwächten Bestand von Überlebenden, aus denen (eben!) erst im nächsten Winter wieder die "Besten herausgesiebt" werden. -

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Der Winter ist der entscheidende Bestandsregulator! - Und das werden bei einem so geschwächten Bestand dann eben sehr viele Individuen sein. Wenn das über Jahre geht, wird ein Bestand von schwachen, kränklichen Vögeln herangezüchtet, der ohne menschliche Fütterung gar nicht mehr überleben kann - und der bei der ersten außergewöhnlichen Belastung, z.B. durch eine Epedemie, zusammenbricht. - Und auch damit muß man ja rechnen, die jüngsten Beispiele "Waldsterben", "Seehund-Sterben" u.a. haben es doch gezeigt.

Besonders unsinnig werden Futteraktionen, wenn sie das ganze Jahr über durchgefüttert werden. Damit hält man die Vögel davon ab, ihrer natürlichen Nahrungssuche nachzugehen. - Das im Futterhaus bereit liegende Futter ist sehr viel leichter zu erreichen, als Insekten und andere Kleintiere, die mit viel Aufwand gesucht und gefangen werden müssen. Und wenn die ewig hungrigen Jungen im Nest betteln, ist die Verlockung besonders groß! - Die Folge ist einseitige Ernährung! Die empfindlichen Jungvögel sind auf vitaminreiche, frische Insekten-Nahrung (insbesondere Raupen) angewiesen. Erhalten sie stattdessen Körnerfutter u.dgl., sterben sie bald! - Und auch die Eltern sind gefährdet, denn sie können die zwar nahrhafte, aber doch vitaminarme, einseitige Ernährung von Trockenfutter nur für kurze Zeit vertragen. (Die handelsüblichen Produkte sind oft schon jahrealt.!) Wenn sie sich davon dauerhaft ernähren sollen, gehen sie bald ein. Auch sie brauchen auch Frischfutter!

Außerdem ist es einfach abwegig, die natürliche "Schädlingsbekämpfung", d.h. die Jagd der Vögel auf Insekten zu unterbinden. - Für manchen Gartenbesitzer sind die "gefiederten Freunde" gerade darum so besonders liebenswert, weil er in ihnen verbündete Mitstreiter sieht, die ihm helfen, seinen Garten und "den Lohn seiner Mühe" zu verteidigen. - Und den Insekten schadet die Dezimierung durch Vögel nicht. Sie sind auf diese Auslese genauso angewiesen, wie die Vögel auf den Winter!

Ein weiterer häufiger Fehler der fütternden Vogelfreunde ist die mangelnde Sauberkeit der Geräte, der Futterstelle selbst. - Natürlich macht es Mühe, im Winter bei Kälte, Eis, Schnee und Regen das Futterhaus sauberzuhalten. Die Vögel tun das nicht! - Im Gegenteil! Und das festgefrorene Gemenge aus Futter, Futterresten und Vogelkot bildet schnell eine feste Kruste. Darin halten sich Krankheitskeime auch Salmonellen, und die werden nicht nur schwachen und kranken Vögeln gefährlich - auch den gesunden, und auch anderen Tieren (z.B. Mäusen, die die Weiterverbreitung beschleunigen können!) und sogar den Menschen. Manch gut gemeinte Futteraktion wird so zur Ausrottungskampagne! - Doch das schreckliche Resultat bleibt (leider!) meistens unbemerkt. Die erkrankten Vögel sterben nachts im Schlaf versteckt in Baumhöhlen oder im dichten Gestrüpp. Die kleinen Leichname werden nur selten gefunden. - Und wenn, dann schiebt man es auf den harten Winter (!) und füttert weiter!

Ein anderer wesentlicher Aspekt ist die Begünstigung einiger, weniger Arten. - Tatsächlich kommen nur "ein paar" Vogelarten an die Futterhäuser, die vielen anderen aber nicht. Und das angebotene Futter sagt wiederum nur einer kleinen Artenzahl zu. (Den "Körnerfressern", also einigen, wenigen Finken- und Meisenarten, und - seltener - sehr wenigen "Weichfressern", z.B. Amseln, Rotkehlchen, Heckenbraunellen, Baumläufern u.a.) Diese profitieren sicherlich im Augenblick! Ganz bestimmt wird ihnen - zumindest zeitweise im Winter - geholfen. - Aber was ist denn mit den anderen Vogelarten, z.B. den Greifvögeln und Eulen, den Spechten oder dem Eisvogel? - Und den anderen Tieren? Ihnen wird nicht - oder nur sehr selten - geholfen.

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Die Folge sind hohe Populationen von Meisen, Amseln, Sperlingen und Grünlingen in den Ortschaften. Diese Arten besetzen schon im zeitigen Frühjahr alle "guten" Reviere. Und die später, nach und nach, zurückkehrenden Zugvögel müssen sich arrangieren. - Deutlich wird dieser Sachverhalt z.B. am Rückgang von Garten-Rotschwanz und Trauerschnäpper. Diese beiden Arten haben es sehr "schwer", in den Ortschaften noch "freie" Reviere mit "ansprechenden" Nisthöhlen zu finden. Zum Glück finden sie in den Wäldern immer noch bessere Bedingungen vor. - Ähnlich steht es bei Grasmücken, Laubsängern u.a. Zugvögeln. - Der Konkurrenzkampf um die besten Reviere, um Nahrungsgründe und Nistplätze, beschränkt sich nicht nur auf die Angehörigen jeder Art untereinander! Auch die verschiedenen Arten müssen miteinander auskommen und nebeneinander existieren können! - und wir wollen doch eine möglichst große Artenvielfalt erhalten. (- und nicht nur "Kohlmeisen züchten"!)

Und noch ein anderer Aspekt gehört hierher: Auch die (oft beklagten) zahlreichen Elstern in unseren Ortschaften sind eine Folge des reichlichen Nahrungsangebotes, d.h. der hohen Population an Kleinvögeln (u.a. Kleintieren) in unseren Gärten. - Die umgebende Feldmark (die "ausgräumte Landschaft" oder "Kultursteppe") ist vergleichsweise arm an Vogelarten und Individuen. Und auch in den Wäldern ist die Siedlungsdichte der Vögel wesentlich geringer, abgesehen von ihrer guten Deckung, die diese wenigen hier finden. - So ist es kein Wunder, daß man dort auch fast gar keine Elstern findet. Die sind "alle" bei uns in den Ortschaften! Denn hier finden sie reichlich Beute. - Das gilt auch (in ähnlichem Maße) für andere Arten, z.B. Ratten (!) und Rabenkrähen.

Hier wird deutlich, daß die zeitweise Begünstigung einer geringen Artenzahl (z.B. durch Winterfütterung) ganz bestimmt nicht ökologisch (= gesamt-biologisch) vertretbar ist. Da haben wir einen weiteren Punkt der Kritiker! - Und die Antwort darauf kann eigentlich nur sein: "Wenig füttern (s.o.), um die Auslesefunktion des Winters zu erhalten und nur gezielt (lokal) zu mildern - und möglichst vielen (am besten allen) verschiedenen Vögeln und Tieren dort und dann zu helfen, wo und wann immer es notwendig wird.

Solche Hilfsmaßnahmen dürfen sich daher nicht auf den Winter beschränken! Und sie sollten sich auch nicht nur auf die (selbstverständlich besonders verabscheuungswürdige) Tierquälerei durch Menschen (z.B. an Haustieren) konzentrieren. - Wo immer ökologisch vertretbar, sollte der Mensch auch dem "wilden" Tier helfen und Qual ersparen! - Darüber hinaus erscheinen mir Hilfsmaßnahmen für die vom Aussterben bedrohten Tierarten besonders wichtig. Hier muß schnellsten und wissenschaftlich fundiert (!) überall dort gezielt und maßvoll (- das kann durchaus "mit aller Gewalt" sein!) eingegriffen werden, wo Biologie und Ökologie allein zu "schwach" sind, den Fortbestand einer Tierart zu gewährleisten. Wer sich auf unserem "gequälten" Planeten auf Biologie und Ökologie beruft oder aus anderen Gründen "tatenlos" zusieht, wie eine Art, nach der anderen verschwindet, und "das Aussterben der Dinosaurier" zitiert, muß sich schon den Vorwurf der Blasphemie gefallen lassen. - So ein Standpunkt ist nicht nur anmaßend sondern schlicht abwegig! - Was haben wir von der Ökologie, wenn wieder eine Art ausgestorben ist? - Was hat das ausgestorbene Tier davon? - Der Mensch hat sich "in seiner Zerstörungswut" schon "nicht an die Ökologie gehalten"! Warum sollte er sich bei seinen bescheidenen Rettungsversuchen "aus ökologischen Gründen" zurückhalten? - Die Aufgabe ist doch klar: Es muß geholfen werden! Und unsere (spärlichen) ökologischen Erkenntnisse

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sollten selbstverständlich mit aller Priorität zugrunde gelegt werden. Sie dürfen aber niemals "billige Ausrede" und Entschuldigung dafür sein, daß nichts, oder nicht genügend getan wurde! - Und wir sollten niemals (!) verkennen, daß wir selber eine gesunde artenreiche Umgebung brauchen, um unsere eigene Art zu erhalten: Natur- und Umweltschutz sind somit keine "Gefühlsduselei", sondern die pragmatische Verfolgung des Ziels der eigenen Arterhaltung. Dies mag bei vielen Menschen noch immer instinktiv (= emotional) erfolgen. Aber die täglichen "Hiobsbotschaften" aus der Umweltszene tragen dazu bei, daß die Einsicht und das tiefere Verständnis der Zusammenhänge sich allmählich durchsetzen.

Bei der Winterfütterung haben wir es zum Glück nicht mit einer großen, lebensbedrohenden Katastrophe zu tun. Hier geht es auch nicht um Hilfe für vom Aussterben bedrohte Tierarten - noch nicht! -. Aus ökologischer Sicht sind die Vögel nicht bedroht. Im Gegenteil: Der Winter und die damit verbundene Auslese sind ökologisch notwendig!

Wir helfen also nicht! - Im Grunde genommen stören wir (wieder!) und greifen (schon wieder) in den "Haushalt der Natur" ein! Wenn wir an die Folgen denken, ist es sogar ein nachhaltiger Eingriff! Wir verursachen mit unseren Futteraktionen womöglich großes Leid und Quälerei an den Vögeln, denen die "Hilfe" galt, und ihren Nachkommen! - Aus den geretteten werden Opfer!

Darum gilt es, maßvoll zu füttern! - Je weniger, desto besser! - Aber im Notfall eben richtig!

Und freuen wir uns an den Vögeln: Es ist doch herrlich, wenn die kleinen "Kerlchen" - so voller Leben - vertraut an die Futterstelle kommen. - Da lacht das Herz! - Es wird immer noch unterschätzt, wie wesentlich diese Freude für uns und unsere Kinder ist! - Laßt sie leben, denn wir leben mit ihnen!

Anschrift des Verfassers:

Volker Konrad
Moltkestraße 6
D-3450 Holzminden