EGGE-WESER 5(1) 77-81 Herausgegeben im Auftrag des Naturk. Vereins Egge-Weser ... Höxter 1988

Die BUND-Kreisgruppe Höxter bittet uns, folgenden Beitrag zu veröffentlichen:

Sondermülldeponie in den Nieheimer Tongruben
Giftmüll kontra Unken, Fledermäuse und Orchideen

Am nordöstlichen Stadtrand Nieheims (Ostwestfalen, Kreis Höxter) soll eine stillgelegte Ziegeleigrube als Sondermülldeponie genutzt und verfüllt werden. Bei dem geplanten Deponiestandort handelt es sich um eine von zwei ausgebeuteten Tongruben, der Grube "Rath" und der Grube "Lücking", die inzwischen den Lebensraum für eine selten so reichhaltige und bemerkenswerte Flora und Fauna darstellen.

Nach Aussage der Landesanstalt für Ökologie, Landesentwicklung und Forstwirtschaft (LÖLF NW), der Fachkompetenz beim nordrhein-westfälichen Umweltminister Matthiesen, stellen die Nieheimer Tongruben ein Biotopgefüge dar, das insgesamt überregionale Artenschutzbedeutung vor allem für Amphibien, Wasserinsekten, Fledermäuse und Pflanzen hat.

Bestandsaufnahmen ergaben, daß die Flachgewässer am Grubengrund Laichplätze für eine in Ostwestfalen einzigartige Amphibienbiozönose bilden. Neben dem regional bedeutungsvollsten Gelbbauchunken-Vorkommen wurden Populationen des Laubfrosches und der Geburtshelferkröte festgestellt, die allesamt vom Aussterben bedroht sind (Rote Liste, NW 1) . Weiterhin beleben Kammolch (RL NW 3 - Gefährdet), Fadenmolch, Teichmolch und Bergmolch, Grünfrosch, Grasfrosch sowie Tausende Erdkröten, die jährliche Krötenzaun-Aktionen notwendig machen, den nassen Teillebensraum.

An Libellen kommen neben achtzehn häufigeren und zur Zeit ungefährdeten Arten die seltene Glänzende Binsenjungfer (RL NW 2 - Stark gefährdet) und die Blauflügel-Prachtlibelle (RL NW 3 - Gefährdet) vor. Die Vogelwelt ist mit ca. 30 Arten zahlreich vertreten, darunter Rohrammer, Turteltaube und Nachtigall (RL NW 3 - Gefährdet).

Besonders hervorzuheben ist der Nachweis von sechs Fledermausarten, die über den Wasserflächen der Nieheimer Tongruben ihr Jagdrevier haben und allesamt in der Roten Liste NW geführt werden. Bei entsprechender Störungsfreiheit hätten sich in den verlassenen Ziegeleigebäuden feste Wochenstuben und Überwinterungsquartiere dieser hochgradig gefährdeten Tiere bilden können.

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Diese Aufzählung von Tieren mit speziellen Lebensraumansprüchen, wie auch die Flora mit gefährdeten Arten wie Kleines Wintergrün, Goldklee, Tannenwedel, der stark gefährdeten Stendelwurz und anderen Orchideen, zeigt, welche reichhaltige Biotopvielfalt auf den ehemaligen Abgrabungsflächen geboten und auch angenommen wird.

Dessen ungeachtet besteht für dieses Gebiet die drohende Gefahr der Vernichtung. Denn die Grube "Rath", welche laut dem ökologischen Gutachten den bedeutungsvolleren Lebensraum für Amphibien und Libellen darstellt, soll von der Firma WESTAB als Giftmülldeponie (verniedlichendes Technokratendeutsch: "Sondermülldeponie") ausgebaut und betrieben werden. Dazu soll die vorhandene Grube auf ein Fassungsvermögen von 379.000 m3 ausgeweitet werden (Grundfläche ca. 5 ha) , die innerhalb einer Laufzeit von 8 Jahren verfüllt werden soll. - Acht Jahre und dafür die Vernichtung eines wertvollen Lebensraumes, Gefährdung des Trinkwassers, Belästigung der Bewohner in den nur wenige hundert Meter entferten Wohnhäusern durch Emissionen usw. Und giftig bzw. eine Gefahr für das Grundwasser sind die Stoffe, die dort verbuddelt werden sollen. Es handelt sich nach den Planfeststellungsunterlagen um Schleiferde aus der Metallverarbeitung, Schmelzschlacke aus der Aluminiumaufbereitung, Harzrückstände, ölverunreinigte Erde und Betriebsmittel etc., also Stoffe, die unser Trinkwasser verseuchen können.

Zum Konzept: In den Jahren 1978 bis 80 geplant, entspricht das im Planfeststellungsbeschluß 1982 beschlossene und abgesegnete Konzept längst nicht mehr dem augenblicklichen Standard und erst recht nicht mehr dem Stand der Technik (vergl. hierzu BUND-NW: Leitfaden zur Deponieplanung; UMWELTBUNDESAMT: Konzept einer umweltneutralen Abfallwirtschaft. Symposium 18. u. 19. 9. 1986 "Die Deponie - Ein Bauwerk?"). Da ist ein großes Loch im Erdboden, an den Seiten und am Boden mit Tonresten umgeben sowie blanker Kalkstein, vertikal geschichtet. Darauf soll eine einzubauende 2 m starke Tonschicht für Dichtigkeit sorgen. Auf Grund der problematischen geologischen und hydrogeologischen Lage des Gebietes im Schnittpunkt zweier Verwerfungen, der Falkenhagener und der Meinberger Grabenzone ist eine Grundwassergefährdung keinesfalls auszuschließen. Auch die geplante Auskleidung mit einer Tonschicht von 2 m Stärke kann keine ausreichende Sicherheit bieten, denn gerade in dem betreffenden Gebiet treten immer wieder Erdfälle auf, bei denen unterirdische ausge-

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waschene Gesteinskavernen einstürzen, die mehrere Meter Tiefe erreichen können. Es würde eine Katastrophe bedeuten, wenn die gefüllte Giftmülldeponie in den grundwasserleitenden Untergrund einsacken würde, gerade auch im Hinblick auf die zahlreichen naheliegenden Mineralquellen, die in Nieheim, Vinsebeck und Bad Meinberg erschlossen sind. Denn die komplizierte geologische Situation ergibt eine großflächige Grundwassergefährdung durch Verschmutzungen, wie der Vorfall in Horn-Bad Meinberg vor einiger Zeit gezeigt hat. Dabei wurden Chemikalien aus Abwässern eines Horn-Bad Meinberger Industriebetriebes im Bad Oeynhausener Quellwasser festgestellt, eine Entfernung von ca. 35 km Luftlinie.

Eine weitere Gefährdung entsteht durch verseuchtes Oberflächenwasser aus der 5 ha großen Deponie. Das Wasser aus ungenutzten Poldern der Deponie darf nach einer Kontrolle durch das Labor des Deponiebetreibers direkt in den nahegelegenen Bach 'Rothe' als Vorfluter abgelassen werden und das stark verschmutzte Sickerwasser wird nach einer Aufbereitung in einer Behandlungsanlage auch in den Bach geleitet werden. Die Menge der Sickerwassereinleitung darf 6480 Liter pro Tag betragen, die Höchstkonzentrationen an diversen Schwermetallen und anderen Stoffen wie Nitrite, Sulfate, Fluoride, Chloride und Formaldehyd sind als hoch anzusehen.
Als vergleichbare Werte geben wir maximale Schwermetallgehalte der Weser bei Petershagen 1983 (ALBRECHT, J. & KIRCHHOFF, N.) für einzelne Elemente an (Mikrogramm/Liter):

  Weser Einleitungs-Höchstkonzentration Rothe*
Chrom 10 1000 100
Kupfer 8 1000 100
Nickel 25 1000 100
Blei 8 100 10

* Genehmigte Einleitungsmenge bis zu 1/10 des mittleren Niedrigwasserabflusses der Rothe

Der kleine Bach 'Rothe' soll also die vielfache Schmutzlast unserer starkbelasteten Weser abführen. Regelmäßige Probeuntersuchungen sollen die "Legalität" dieser Einleitungen gewährleisten.

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Der Petitionsausschuß des Landtages NW faßte am 22. 5. 1980 den Beschluß, daß die beiden Tongruben in Nieheim weder als Standort für Sondermüll- noch als Hausmülldeponie geeignet sind. Diesen Beschluß erneuerte der Ausschuß nach dem zweiten Anhörungsverfahren am 12. 1. 1982, wobei er der Landesregierung empfahl, beide Gruben zu erwerben und für den Arten- und Biotopschutz zu reservieren.

Der Bonner Wissenschaftler Prof. Dr. Jacob, vom Oberverwaltungsgericht Münster 1987 zur Stellungnahme beauftragt, spricht sich eindeutig gegen eine Deponie aus. Er kommt zu dem Ergebnis, daß wegen der Bodenschichtung eine Beeinträchtigung des Grundwassers nicht ausgeschlossen werden kann. Dieser gravierende Sachverhalt, der wie oben dargestellt leicht nachvollziehbar ist, wurde allerdings bis jetzt noch nicht im Verfahren berücksichtigt. Zudem weist Prof. Dr. Jacob auf die überholte und veraltete Deponietechnik hin.

Trotz der massiven und sachkundigen Einwendungen des Petitionsausschusses des Landtages, der LÖLF NW, der Sachverständigen des Oberverwaltungsgerichts, zahlreicher Wissenschaftler sowie der Naturschutziniativen wird das Verfahren weiter verfolgt und dies forcierter als bisher.

So finden derzeit (Frühjahr 1988) im Auftrag der höheren Landschaftbehörde beim Regierungspräsident Detmold Ausgleichsund Ersatzmaßnahmen für die künftige Deponie 'Rath' in der angrenzenden sogenannten Artenschutzgrube 'Lücking' statt.

Mit schweren Geräten werden große Erdmassen bewegt, Uferbereiche werden verkippt beziehungsweise neue Teiche ausgebaggert. Ein etwa 2,5 m hoher Wall und ein dichter Maschendrahtzaun schließen das zukünftige Naturschutzgebiet von der Außenwelt ab. Ein ahnungsloser Betrachter kann durchaus den Eindruck gewinnen, daß im geplanten NSG eine Deponie eingerichtet wird. Wogegen der geplante Deponiestandort in der benachbarten Grube natürlich und unberührt ist.

Diese umfangreichen Baumaßnahmen werden unter dem Deckwort "Optimierung" in einer derartig radikalen Weise durchgeführt, daß keine Pflanzen- noch Tierpopulation dies überleben wird.

Merkwürdigerweise sieht die höhere Landesbehörde beim RP Detmold, vielleicht durch eine kleine Anweisung von "Oben" in die richtige Richtung geschubst, einer Artenumsiedlungsaktion von dem Deponiestandort in das derart "hergerichtete" zukünftige

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Naturschutzgebiet optimistisch entgegen. In der Fachliteratur gibt es allerdings keine gelungenen Beispiele für die geplante Umsiedlungsaktion, bei der also Tiere gefangen, aufgesammelt und im geplanten Biotop ausgesetzt und festgehalten werden beziehungsweise Pflanzen ausgegraben und an dem vorgesehenen Standort wieder anwachsen sollen. Die Chance für den Erfolg ist als sehr gering einzuschätzen, zumal die Baustelle als vorgesehener neuer Standort im Moment viel Zeit braucht, um wieder einen potentiellen Lebensraum für die zu schützende Biozönose zu bieten.

Optimierungsmaßnahmen, die dem Naturschutz dienen sollen, zeichnen sich durch behutsame Arbeiten in einer Zeit aus, wo der geringste Schaden entstehen kann.

Das ist keinesfalls zu der Zeit, wenn Amphibien zu ihren Laichgewässern wandern und niemals in dieser brutalen Art und Weise, wie es dort im Moment geschieht.

Es bleibt zu hoffen, daß im Sommer in letzter Instanz vor dem Oberverwaltungsgericht Münster die Deponieplanung gestoppt wird. Dennoch ist schon ein nicht wieder gutzumachender Schaden an der Natur entstanden. Höxter, den 21.06.1988

 

Anschrift des Verfassers :
Rainer Hozak, Hauptstraße, 3470 Höxter - Ovenhausen