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EGGE-WESER 6(1) Seite: 16-23 Höxter 1989

Bericht einer Elementarforschung an Misteln aus dem oberen Weserbergland

Peter Goedings

Im Dezember 1988 hatte ich die Gelegenheit, einige Mistelpflanzen an ihrem natürlichen Standort im Gebiet des Oberen Weserberglandes zu studieren. Herr Kurt Preywisch hat mir die gesuchten selteneren Mistelwirte gezeigt.

Das Anliegen des Mistelstudiums geht aus der Grundlagenforschung in der Heilmittelfirma Helixor hervor, wo die Mistel als Heilmittel für Krankheiten auf dem Gebiet der Tumorbildung und des rheumatischen Formenkreises zubereitet wird. Die Forschung dient dem Anspruch, höchster Qualität zu genügen und außerdem die Erkenntnisse über die Mistelpflanze zu erweitern.

Einige Tage vor unserer Exkursion (am 3. Dezember) hatte es gerade einen massiven Eisregen gegeben. Viele Bäume waren völlig überdeckt von Eis, zahlreiche große Äste waren abgebrochen. Allerdings wurde uns so einige Mühe erspart, denn gerade die Äste mit großen, schweren Mistelbüschen lagen des öfteren abgebrochen auf dem Boden. Dieser Umstand erleichterte nicht nur unsere Erntearbeit, die wunderschönen großen Exemplare mit den prallen, weißen Beeren erregten natürlich im Hinblick auf Weihnachten bei mehreren Menschen großes Interesse.

Die Mistelpflanze (Viscum album L.) kommt im Oberen Weserbergland auf relativ vielen Wirtsbaumarten vor (PREYWISCH 1972). Unser Interesse galt hauptsächlich den Weidenmisteln. Es wurden zwei Silber-Weiden und einer Sal-Weide jeweils männliche und weibliche Pflanzen zur Untersuchung

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geerntet. Eine Weide steht inmitten der Stadt Beverungen (4322/14) und ist stark befallen von Misteln; die Mistel selber ist auch wiederum von Pilzen befallen. Eine andere Weide steht zusammen mit anderen großen Bäumen auf einem nahen Südwesthang mit mittelstarker Reliefenergie. Beide Weidenbäume sind höheren Alters. Die Sal-Weide steht an einem kleinen Graben (4322/12), ist noch jung und trägt spärlich Misteln.

Zum Vergleich wurden auch einige Akazienmisteln geerntet (der Robinia pseudoacacia). Die stark befallenen Akazien stehen an einem östlich exponierten Hang (4322/12) mit starker Reliefenergie. Da die Erforschung der Mistel auch den Zusammenhang zwischen Mistel und Bodenbeschaffenheit berührt, wurden zu gleicher Zeit Bodenproben gezogen.

Durchführung der Forschung

Das Mistelmaterial wird zur Erforschung von Elementgehalten benutzt. Dazu mußte das frische Pflanzenmaterial erst aufgeschlossen werden. Die Prozedur besteht aus Trocknen, Mahlen, Veraschen und Aufnehmen in Salzsäure. Anschließend können dann, absorptionsspektrometrisch, etliche Elemente bestimmt werden: Wir beschränken uns hier auf die Elemente Kalzium (Ca), Kalium (K), Phosphor (P), und Mangan (Mn). Die drei erstgenannten Elemente sind Makronährelemente für jede Pflanze; Mangan kommt in geringeren Mengen vor, ist aber doch auch für das Gedeihen der Pflanze wichtig. Das vergleichende Studium am Vorkommen dieser Elemente führt zu einer näheren Einsicht in die Entwicklung dieses Halbparasiten.

Vergleichen wir zunächst die Mistel der zwei großen alten Weiden. Die Bodenproben zeigen deutlich ein unterschiedliches Verhältnis an Kalium- und Kalziumgehalt (bestimmt sind die wurzelverfügbaren Mengen). Im Blatt der Mistel tritt der gleiche qualitative Unterschied auf (siehe Tabelle 1). Es wird hier unterschieden zwischen männlichem und weiblichem Exemplar, denn die Mistel ist zweihäusig. Die weibliche Pflanze hat mit ihrer betonten Beerenbildung selbstverständlich eine andere Physiologie als die männliche Pflanze, bei der das Blütenorgan viel prägnanter ausgebildet ist. Außerdem sind an der Mistelpflanze junge und alte Blätter zu unterscheiden. Die jungen Blätter sind im Dezember etwa 8 Monate alt, die alten Blätter dementsprechend ein Jahr älter (siehe Figur 1).

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Bezüglich des K/Ca-Verhältnisses wird aus Tabelle l also deutlich, daß:

- die Höhe des Wertes im Mistelblatt von der Bodenbeschaffenheit abhängig ist;

- höhere Werte im jungen Blatt vorkommen;

- die männliche Mistel zu höheren Werten tendiert.

In der Pflanzenwelt ist es eine bekannte Tatsache, daß bei jungen Blättern der Gehalt an Kalium überwiegt und erst bei Alterung der Anteil an Kalzium zunimmt oder sogar überhand nimmt. Die Mistel nimmt als Halbschmarotzer extra viel Kalium vom Wirtsbaum auf; sie akkumuliert Kalium. Zum einen ist sicherlich anzunehmen, daß die vermehrte Kaliumaufnahme durch die Mistel mit dem Bedürfnis an Wasser zusammenhängt.

Ein direkter Zusammenhang zwischen Kalium und Quellung ist unlängst von ESSIAMAH (1986) beim akropetalen Wassertransport in die Baumkrone hinein nachgewiesen worden. Zum anderen ist der hohe K/Ca-Wert im Mistelblatt aber auch als Ausdruck des Bestrebens zu verstehen, länger

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jung zu bleiben oder später alt zu werden. Ähnliche Verhältnisse gibt es nämlich bei den Nadeln der Tanne und Kiefer, die bedeutend älter werden als die Blätter der laubwerfenden Bäume. Auch das Mistelblatt wird bis zu zwei Jahre alt. Histologisch drückt die verzögerte Alterung eine zunächst mangelnde Differenzierung in Schwamm- und Palisadenparenchym aus. Erst im zweiten Jahr differenzieren sich ansatzweise Palisadenzellen heraus. Im Verhältnis K/Ca kommt also einerseits die Qualität von Kalium als Element der Neuentwicklung und Quellung, andererseits die Qualität von Kalzium als Element der Ablagerung, Verhärtung und Vertrocknung schön zum Ausdruck.

Kehren wir nun zum Zusammenhang zwischen Mistel und Boden zurück. Im Verhältnis Ca/Mn findet sich eine ähnliche Abhängigkeit wie beim K/Ca-Verhältnis. Dabei entsteht natürlich die Frage, ob nicht auch der Wirtsbaum einen modulierenden Einfluß hat. Es kommt tatsächlich vor, daß der Einfluß des Wirtsbaumes so stark ist, daß die Verhältnisse in Boden und Mistel weniger korrelieren. Unser Vergleich hier mit der Akazienmistel zeigt aber einen dominanten Einfluß des Bodens (s. Tab. 1).

Wenden wir uns einem anderen Element zu. Phosphor wird von der Mistel genau wie Kalium verstärkt aufgenommen. Das Mistelblatt kann zwei- oder dreimal soviel Phosphor enthalten wie das Wirtsbaumblatt. Phosphor kommt vor allem im Samen vor (u.a. als Phytinsäure), so auch bei der Mistel. Das P/Ca-Verhältnis wird oft als Maß für die "Verdaulichkeit" für Tier und Mensch genommen. So ist bei Bohnen feststellbar, daß sie bei höherem P/Ca-Wert schneller gar werden (GARZ, 1966). Ein anderes Beispiel ist die Bedeutung der wintergrünen Schmarotzerpflanze für die Ernährung der Wildtiere. Die amerikanische Mistel Phoradendron kommt in verschiedenen Arten vor, die wiederum unterschiedliche P/Ca-Werte aufzeigen (URNESS, 1969). Die Arten mit höheren P/Ca-Wert sind für die Wildtiere am besten zu verdauen.

Einige Werte im P/Ca-Verhältnis für die verschiedenen Organe der Mistel sind in Tabelle 2 wiedergegeben. Die Werte wurden nicht statistisch ermittelt, sind aber zur Orientierung völlig geeignet.

Sofort fällt der hohe Wert der Beeren auf, die für einige Vögel eine wichtige Winternahrung bedeuten. Außerdem deutet ein Absinken vom P : Ca-Wert ebenfalls auf einen Alterungsprozess im Blatt hin. Die höchsten Werte kommen in den generativen Organen (Knospen, Beeren) vor; interessanterweise nimmt dieser Wert bei fortschreitender Reife der Beeren und Entwicklung der Knospen zu (s. Fig. 2 ). In der Beere nehmen der absolute und relative Gehalt an Kalium (bis auf das doppelte) zu.

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Im P/Ca-Verhältnis der Blätter können die Misteln der unterschiedlichen Wirtsbaumarten sehr verschieden sein. Einen Eindruck dieser Unterschiede vermittelt Tabelle 3. Überraschend ist jedoch, daß die Beeren trotz dieser Unterschiede im vegetativen Bereich einen nur geringen Wertschwankungsbereich aufweisen, also in dieser Hinsicht relativ umgebungsunabhängig sind. Diese relative Umgebungsunabhängigkeit im Bereich der Samen ist bekannt (GARZ, 1966).

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Zusammenfassung:

Durch Betrachtung einiger physiologischer Parameter, hier die Verhältnisse K/Ca und P/Ca. lassen sich grundsätzliche Beziehungen zur Entwicklungsmorphologie der Mistel herstellen. Einerseits hat die Mistelpflanze als Halbparasit einen aktiven vegetativen Bereich mit Blättern, die überwintern und relativ alt werden können. Die hohe vegetative Aktivität ist sicherlich verbunden mit einem starken Wasserbedürfnis, aber auch mit einer hinausgezogenen Jugendphase in physiologischer und histologischer Hinsicht. Physiologisch greift dieser Zustand nun direkt in den generativen Bereich über, wo für Reifung und Blütenentfaltung ebenfalls hohe Werte an K/Ca und P/Ca gebraucht werden. Ein ganz enger Bezug zwischen vegetativer und generativer Tätigkeit ist also in der Mistelpflanze zu entdecken.

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Wir haben damit ein allgemeines Merkmal der Mistelpflanze auch beim Studium der Weidenmistel vorgefunden. Dieser allgemeine Aspekt wird jeweils etwas abgewandelt, je nach Art des Wirtsbaumes. Die Verhältnisse zwischen K, P und Ca sind jeweils verschieden nuanciert und somit Ausdruck einer anderen Qualität der Pflanze. Die Erforschung der Weidenmistel auf dem Oberen Weserbergland hat dazu beigetragen, diesen Qualitäten näher auf die Spur zu kommen.

Literaturverzeichnis:

ESSIAMAH S. et aL: Sater uptake in deciduous trees during winter and the role of conducting tissues in spring reactivation, Int. Assoc. of Anatomists Bulletin 7, l, 1986.

GARZ J. Menge, Verteilung und Bindungsfom der Mineralstoffe (P, K, Mg und Ca) in den Leguminosensamen usw, Kühn-Archiv 80,0,1966.

PREYWISCH K.: Zur Ökologie der Laubholzmistel (Viscum album L. ssp. album) im Oberen Weserbergland 1972, Decheniana Bd. 125, Heft 1/2.

URNESS Ph.J.: Nutritional Analyses and in vitro digestibility of Mistletoes Browed by Deer in Arizona, J. Wildlife Management, Vol. 33, 3,1969.

Anschrift des Verfassers:

Peter Goedings
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