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EGGE-WESER 6(1) Seite: 24-27 Höxter 1989

Eine Nieheimer Flechthecke

Agnes Sternschulte

Zu den landschaftstypischen Kulturelementen aus Westfalen, die volkskundliches Interesse verdienen, gehört auch die Nieheimer Flechthecke. Die Bezeichnung deutet schon die lokale Verbreitung dieser Hecken an. Es ist eine Art der Weideabgrenzung, die besonders im Raum Nieheim, der Nordwestecke des Oberwälder Landes, verbreitet war und sich dort noch relativ lange gehalten hat. Hecken waren hier das prägende Landschaftbild und stehen im engen Zusammenhang mit der Weidewirtschaft. Flechthecken gibt es auch in anderen Gegenden Westfalens, jedoch unterscheiden sie sich vom Nieheimer Typ.

Die Nieheimer Hecke war vor allem in den Grünlandgebieten Südholzer Wiesen im Sauerbeutel und in den Röthe- und Emmerniederungen verbreitet, wo sie nicht nur als Besitzabgrenzung, lebender Zaun und Schattenspender für das Weidevieh fungierte, sondern auch Lieferant von Brenn- und Brauchholz, Haselnüssen und Futter war, also gleichzeitig Zaun- und Niederwaldfunktionen hatte. In Nieheim soll das zusätzliche Laubfutter der Flechthecke noch in den Dürrejahren 1893, 1904, 1911 das Vieh vor dem Verhungern gerettet haben. 1) Nicht vergessen werden darf die Bedeutung für den Naturhaushalt. PREYWISCH (1960)2), der Untersuchungen zum Vogelbestand von Nieheimer

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1) Nach Ernst Burrichter, Baumformen als Relikte ehemaliger Extensivwirtschaft in Nordwestdeutschland, Drosera, Heft 1, 1984, S.15.

2) PREYWISCH, K. Zum Vogelbestand zweier Heckengebiete im Kreis Höxter, Sonderdruck aus "Natur und Heimat", 20. Jahrgang, 1. Heft, Münster 1960.

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Flechthecken machte, konnte in den Jahren 1958/59 19 verschiedene Vogelarten feststellen, davon 13 in den Hecken brütend, das sind 100 Brutpaare pro ha Heckenfläche. Auch nach den Aussagen Nieheimer Bauern sind die Flechthecken nicht mit normalen Hecken zu vergleichen, da durch die gebundenen Weidenzweige erheblich mehr Nestbaumöglichkeiten entstehen. Neben der Bedeutung für den Vogelbestand ist die Hecke auch Lebensraum für viele Insektenarten, Unterschlupf für Feldtiere und nicht zuletzt ein ästhetisches Element der Landschaft.

Abb. 1: Flechthecke bei Nieheim, Kreis Höxter, als Vorlage- oder Musterhecke für die Flechthecke im Paderborner Dorf des Freilichtmuseums (Aufnahme W. Niederkrüger 1988)

Als die obengenannten Funktionen (Zaun, Futterlieferant, Brennholzlieferant) an Bedeutung verloren, verschwand, auch im Zuge der Flurbereinigungsverfahren, eine Hecke nach der anderen. Dort, wo

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die Abgrenzung noch nötig war, wurden die Flechthecken durch Drahtzäune ersetzt. Die Umwandlung vieler Weiden zu Ackerflächen und der hohe Arbeitsaufwand führten zu weiteren Rodungen, so daß heute Flechthecken weitgehend aus der Landschaft verschwunden sind und die Technik des Flechtens und Pflegens immer mehr in Vergessenheit gerät.

Die Hecken bestehen zu 80 % aus Haseln, die einreihig gepflanzt werden, zusätzlich kommen Weißdorn und einzelne Wildrosen vor. Die Kopfweiden (meist Salix alba) mit Abtriebshöhen zwischen 1,50 m und 2 m dienen einerseits als lebende Zaunpfosten zur Stabilisierung des Flechtwerkes, andererseits war es praktisch, die zum Flechten benötigten Weidenruten an Ort und Stelle zur Verfügung zu haben.

Im Freilichtmuseum bot sich die Anlage einer solchen Hecke an, weil sie erstens den Museumszielen entgegenkommt, denn zur Darstellung ländlicher Kultur gehört auch die Darstellung der regionaltypischen Flur, und zweitens dem Natur- und Artenschutz, der Erhaltung von altem Kulturgut und der Bewahrung der Technik dient. Es mußte zunächst ein Standort für die Hecken gefunden werden. Dafür kam nur eine Weide und durch die Lage Nieheims die Zuordnung zum Paderborner Dorf des Westfälischen Freilichtmuseums in Frage. Fast noch wichtiger war es, Personen zu finden, die die Bindetechnik noch kennen. Zwei Nieheimer 3) standen uns mit Rat und Tat zur Verfügung. So wurde 1986 am Dorfrand entlang einer Weide mit der Pflanzung begonnen. Nachdem die Haselsträucher möglichst dicht gepflanzt, dazu einige Wildrosen, Weißdorn pflanzen und Weidenstecklinge gesetzt waren, konnte die Flechtarbeit beginnen.

Einen Tag vorher waren die Weidenruten, die man zum Flechten braucht, geschnitten worden. Für den ersten, untersten Bund - die Hecke besteht in der Regel aus drei Bunden - wurden nun die geeigneten, etwa besenstieldicken Haseläste möglichst nah zum Boden herabgedrückt und zwar nur in eine Richtung. Nun wurden die unter Druck stehenden Äste an mehreren Stellen mit Weidenruten zusammengebunden und so an anderen Ästen befestigt, daß sie ihre Stellung beibehalten. Waren nicht genügend geeignete Äste vorhanden, wurden einige blinde (abgeschnittene) Haseläste eingebunden, d.h. die Knoten befinden sich auf dieser Seite. Dabei muß darauf geachtet werden, daß keine Schlaufen entstehen, da die Knoten dann von Kühen, die mit ihren Hörnern hineingeraten, geöffnet werden könnten. Ist das erste

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3) Herr Potthast und Herr Krawinkel kennen die Flecht- und Pflegetechnik noch aus eigener Praxis und halfen dem Freilichtmuseum dankenswerterweise beim Aufbau.

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Bund fertig, so wird auf die gleiche Weise mit dem zweiten Bund, ca. 30 cm oberhalb des ersten, begonnen. Das dritte, oberste Bund schließt die Hecke ab. Das Ziel ist eine möglichst schmale, gleichmäßige Hecke. Die Höhe der fertigen Hecke (eingebundener Teil) beträgt etwa 1,50 m. Die dicken, nicht zum Flechten benutzten Äste wurden auf die Höhe des oberen Bundes eingekürzt.

Erst nach 10 bis 15 Jahren wird die Hecke ausgehauen und nachgebunden, jedoch muß jedes Jahr kontrolliert werden, ob die Verbindungen noch halten, eventuelle Ausfälle müssen repariert werden, damit keine Lücken entstehen. Auch Pflanzen, die sich von selbst ansiedeln und durch die es zu Lücken kommt, wie z.B. der Holunder, müssen entfernt werden. In gewissem Maße treibt auch das Vieh auf der Weide eine Heckenpflege, indem es sie verbeißt; es entsteht dadurch eine gleichmäßige, dichte Fläche, ähnlich dem Heckenschnitt. Werden Pferde auf der Weide gehalten, kann es jedoch zu stärkerem Verbiß kommen. Um das zu verhindern, werden auf der Innenseite Schwarzdornäste (Schlehe) mit in die Hecke eingebunden.

Beim Aushauen liefern die dickeren Äste als Brennholz das Heizmaterial, die dünnen Äste werden als sogenannte Barken oder Buschen mit Weidenruten zusammengebunden. Diese brauchte man zum Feuern der Schweinetöpfe, zum Anheizen der Backöfen und Herdfeuer usw. Beim Rückschnitt bildete das Schneitelmaterial (schneiteln = Entnahme seitlicher Äste) wertvolles Laubfutter. Den Kopfweiden konnten die jungen Ruten entnommen werden für Flechtarbeiten, aber auch zum Zusammenbinden der Kartoffelsäcke und Holzbunde. Die dickeren Äste lieferten Peitschenstöcke oder Besenstiele. Beim Aushauen kam auch den Kindern eine Aufgabe zu, sie säuberten die Hecke am Boden vom Laub, um ein gutes Anwachsen zu garantieren.

Aus: Stefan BAUMEIER und Kurt DROGE (Hrsg.) - 1987 - Beiträge zu Volkskunde und Hausforschung, 2, 151-154 - Westfälisches Freilichtmuseum Detmold.
 
Wir danken für die Genehmigung zum Nachdruck.