Das europäische Schutzgebietssystem NATURA 2000

Heiko Köstermeyer

EGGE-WESER Band 15 Seiten 5-8 2002

Das europäische Schutzgebietssystem NATURA 2000

Heiko Köstermeyer

Naturschutz wurde in der Vergangenheit sowohl in Deutschland als auch in der europäischen Gemeinschaft zumeist regional betrieben (PLACHTER 1991). Die Auswahl und rechtliche Sicherung von Naturschutzgebieten war über lange Zeiträume stark vom persönlichen Engagement der Menschen vor Ort abhängig und richtete sich im Zweifelsfall eher nach Verwaltungsgrenzen als nach den naturräumlichen Voraussetzungen. Entsprechend „unsystematisch“ waren die Ergebnisse.

Erste Besserungen brachte das in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts verabschiedete – und seitdem mehrfach an die aktuellen Gegebenheiten angepaßte – Bundesnaturschutzgesetz, das dem Naturschutz in Deutschland einen einheitlichen Rahmen gab. Gleichzeitig wuchs im Naturschutz die Erkenntnis, daß ein wirkungsvoller Schutz der Natur und der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten auf einzelnen, kleinen und eher regional begrenzten Flächen nicht möglich ist (vgl. HORLITZ 1994 oder PLACHTER 1991).

Die ersten Ansätze für länderübergreifende Schutzsysteme wurzeln im Zugvogelschutz, bei dem sehr deutlich wurde, daß die Verantwortung für den Erhalt einzelner Arten nicht nur den Ländern in den Brutgebieten obliegt, sondern daß eben auch die Staaten, die von den Zugrouten tangiert werden oder in denen die Überwinterungsgebiete liegen, für den Schutz verantwortlich zeichnen. Als Konsequenz hieraus wurde 1971 in der iranischen Stadt Ramsar eine Konvention verabschiedet, die sich als Ziel setzte, weltweit Feuchtgebiete und insbesondere die an diese Gebiete gebundenen Vogelarten zu schützen. Die Umsetzung in der Bundesrepublik Deutschland erfolgte im Jahr 1976. In Folge der Ramsar-Konvention kam es zu einer ganzen Reihe weiterer länderübergreifender Vereinbarungen (z.B. Bonner Konvention über den Schutz wandernder Tierarten 1979 – Übersicht unter www.bfn.de), die überwiegend dem Schutz gefährdeter Tier- und Pflanzenarten dienen sollen. Für die Europäische Union wurde dieser Gedanke erstmals 1979 mit der Verabschiedung der EU-Vogelschutzrichtlinie umgesetzt. Den Mitgliedsstaaten wurden dabei weit über die Verpflichtungen aus den bisherigen internationalen Konventionen hinausreichende einheitliche und verbindliche Vorgaben zum Erhalt seltener Vogelarten gemacht. Ein wesentlicher Fortschritt war die Schaffung einheitlicher und gerichtlich einklagbarer Normen. Mit der EU-Vogelschutzrichtlinie wurde ein erster und wesentlicher Baustein zur Schaffung des europäischen Naturnetzwerkes „Natura 2000“ geschaffen. Vogelschutzrichtlinie und FFH-Richtlinie stehen bis heute „gleichberechtigt“ nebeneinander. Eine Integration der Vogelschutzrichtlinie in die FFH-Richtlinie erfolgte bisher nicht. So bilden beide Richtlinien das Herzstück von „Natura 2000“.

Die FFH-Richtlinie, die 1992 zeitgleich zur Biodiversitätskonferenz von Rio verabschiedet wurde und u.a. ein europäischer Beitrag zum Erhalt der weltweiten Biodiversität sein soll, ist die logische Fortentwicklung des länderübergreifenden Schutzgedankens der bestehenden internationalen Vereinbarungen und der Vogelschutzrichtlinie. Gleichzeitig geht die FFH-Richtlinie in vielen Punkten deutlich weiter als alle bisherigen Schutzkonzepte. Ziel von „Natura 2000“ ist der Erhalt der Vielfalt der Lebensräume für wildlebende Tiere und wildwachsende Pflanzen sowie der Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten und ihrer Populationen durch die Schaffung eines zusammenhängenden kohärenten Schutzgebietssystems in der Europäischen Union.

Die Auswahl der Schutzgebiete für dieses Netzwerk richtet sich wie schon bei der Vogelschutzrichtlinie rein nach naturschutzfachlichen Kriterien. Weitere Kriterien wie z.B. solche wirtschaftlicher oder verkehrspolitischer Art werden für die Auswahl und Abgrenzung der Gebiete nicht herangezogen. Alle Mitgliedsstaaten der europäischen Union sind verpflichtet, eine entsprechend ihrer naturräumlichen Ausstattung angemessene und ausreichende Anzahl an Gebieten zu melden.

Da die EU nicht für alle Lebensräume sowie Tier- und Pflanzenarten eine gleichermaßen hohe Verantwortung trägt, wurde zu Beginn des Auswahlprozesses eine systematische Übersicht über alle innerhalb der EU vorkommenden Lebensräume geschaffen. Die Lebensräume sowie die Tier- und Pflanzenarten, die unter den Schutz der FFH-Richtlinie fallen, sind in den verschiedenen Anhängen der Richtlinie aufgeführt. Gleichzeitig erfolgte eine abgestufte Einordnung der Schutzbedürftigkeit. So sind Lebensräume des Anhang I und Tier- und Pflanzenarten des Anhang II besonders geschützt. Lebensraumtypen und Arten, für welche die EU eine besondere Verantwortung trägt und die besonders gefährdet sind, besitzen den höchsten Schutzstatus innerhalb der FFH-Richtlinie, sie werden als prioritäre Arten bzw. Lebensräume bezeichnet.

Für die Auswahl der Schutzgebiete wurden die Kriterien erstmals so gewählt, daß nicht nur gefährdete Lebensräume, Pflanzen und Tiere in das Netzwerk „Natura 2000“ aufgenommen wurden. Ein wesentliches Kriterium ist auch die Verantwortung, die die Europäische Union für den Erhalt von bestimmten Lebensraumtypen und Arten im Hinblick auf ihre weltweite Verbreitung besitzt. Dies bedeutet in der Praxis, daß z.B. die bei uns weit verbreiteten und als Lebensraumtyp nicht gefährdeten Buchenwälder in das Schutzgebietssystem aufgenommen wurden, da es diesen Lebensraumtyp außerhalb Mitteleuropas praktisch nicht gibt. Hieraus entsteht die besondere Verantwortung für die EU, solche Lebensräume vorsorglich zu schützen und erhalten.

Im Kreis Höxter wurden insgesamt 39 Gebiete als FFH- oder EG-Vogelschutzgebiete ausgewählt und nach Brüssel zur Europäischen Kommision gemeldet. Die Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Gebiete und die Hauptmelde- oder schutzgründe.

Wie der Schutz der als FFH- oder Vogelschutzgebiete ausgewiesenen Gebieten erfolgen soll, ist den Mitgliedsländern weitgehend freigestellt, sofern bestimmte Mindeststandards erfüllt werden. So ist durch einen Managementplan und ein regelmäßiges Monitoring in den Gebieten sicherzustellen, daß keine Verschlechterung des Zustandes des Gebietes eintritt. Andernfalls sind entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten.

Ob die Gebiete, wie z.B. in Deutschland bisher üblich, als Naturschutz- oder Landschaftsschutzgebiete ausgewiesen werden, steht im Ermessen der Mitgliedsländer. Ein Schutz von Flächen durch Vertragsnaturschutz, freiwillige Vereinbarungen oder im Zuge der normalen Raumplanung ist ebenfalls möglich. Es besteht keine Verpflichtung, über den Status „Natura 2000-Gebiet“ hinausgehende Schutzkategorien zu erlassen. Ebenfalls bleibt die Nutzung der Gebiete weiterhin möglich, sofern sie nicht den Erhaltungszielen für das Gebiet widerspricht. Eine Beweidung von Kalkmagerrasen mit Schafen wird in Zukunft genauso möglich sein wie Holzeinschlag in einem Buchenwald mit anschließender Naturverjüngung oder Buchenanpflanzung. Nicht zielkonform wäre hingegen die Umwandlung eines Buchenwaldes in einen Fichtenforst.

Über den Schutz der Gebiete vor einer direkten Veränderung hinaus bietet „Natura 2000“ auch Schutz vor Vorhaben, die nur Teile des Schutzgebietes berühren oder außerhalb durchgeführt werden, aber in der Lage sind, das Schutzgebiet zu beeinträchtigen. Solche Projekte setzen in der Regel eine spezielle FFH-Verträglichkeitsprüfung voraus und dürfen bei erheblichen Auswirkungen auf die Schutzziele nur unter besonderen Voraussetzungen verwirklicht werden.

Das neue europäische Netzwerk „Natura 2000“ bietet die Chance einen wirksamen länderübergreifenden Naturschutz in Europa zu etablieren und die Überlebenschancen vieler Arten und Lebensräume in Europa deutlich zu verbessern.

Weitere Informationen zu „Natura 2000“ finden Sie unter:

http://europa.eu.int/comm/environment/nature/

http://www.bfn.de

http://www.loebf.nrw.de

Literatur:

HORLITZ, TH. (1994): Flächenansprüche des Arten- und Biotopschutzes. – Libri Botanici 12. IHW-Verlag, Eching.

PLACHTER, H. (1991). Naturschutz. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart.

 

Anschrift des Autors:
Heiko Köstermeyer, Corvey 12, 37671 Höxter

 

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