EGGE-WESER Band 16 Seiten 31-36 2004

Die Saatkrähe ( Corvus frugilegus ) im Kreis Höxter
Verbreitung, Biologie und Bestandsentwicklung

von H. Struck & B. Beinlich

Verbreitung und Biologie

Die Saatkrähe ist in zwei Unterarten von Nordfrankreich und der Schweiz bis nach Ostsibirien hin verbreitet. Sie besiedelt dabei sowohl die boreale Klimazone als auch die gemäßigten Breiten sowie die Steppenzonen. In Mitteleuropa beschränken sich ihre Vorkommen vor allem auf die Bereiche mit hochproduktiven Böden in den überwiegend ackerbaulich genutzten Gebieten der Flußniederungen, Börden und des norddeutschen Tieflandes. Oberhalb 300 m ü. NN ist die Saatkrähe kaum noch anzutreffen.

Voraussetzung für ihr Vorkommen ist weiterhin das Vorhandensein von Baumgruppen als Neststandort und ein gutes Angebot an bodenbewohnenden Wirbellosen. Neben Äckern werden auch Wiesen und Weiden als Nahrungsquelle aufgesucht. Die Nahrung selbst setzt sich zu etwa gleichen Teilen aus wirbellosen Tieren und Sämereien zusammen. Hauptbeutetiere sind Regenwürmer, bodenbewohnende Insekten und deren Larven (z.B. Wiesenschnaken, Raupen, Käfer) sowie Schnecken. Bei der pflanzlichen Nahrung spielen vor allem Getreidekörner eine wichtige Rolle. Kleinsäuger, Eier und Jungvögel stellen eher eine Gelegenheitsbeute dar. Vor allem im Winter sind Aas und menschliche Abfälle eine willkommene Ergänzung auf dem Speiseplan. Ein lokal ergiebiges Nahrungsangebot (z.B. Saatgut) kann aufgrund der sozialen Nahrungssuche der Tiere zu größeren Konzentrationen, u.a. zusammen mit Raben- oder Nebelkrähe, führen. Nach Berechnungen aus Polen nimmt ein Tier im Jahr etwa 13 kg Körner und 16 kg tierische Nahrung zu sich (Bezzel 1993).

Während die Saatkrähe in Westeuropa eher ein Standvogel ist, nimmt der Anteil der Teil-, Kurz- und Langstreckenzieher nach Osten und Norden hin zu. Während die Vögel aus Westdeutschland überwiegend in Südwest­frankreich überwintern, ziehen die Tiere aus Ostdeutschland und Polen nur bis ins westliche Deutschland und überwintern dort.

In den Brutgebieten zeigen die Vögel eine ausgeprägte Ortstreue. Die adulten Vögel übernachten während der Brutzeit in den Kolonien. Sie gehen während dieser Zeit meist in kleineren Trupps oder Schwärmen auf die Nahrungssuche. Nach der Brutzeit sind sie oft in kleineren Gruppen verteilt auf Schlafbäumen anzutreffen. Im Herbst bilden sich in der Regel dann Massenschlafplätze aus, die über einen weiten Einzugsbereich (bis > 40 km Durchmesser) verfügen. Dann sind in Nähe der Ruheplätze auffallende Schlafplatzanflüge zu beobachten, die im Winter schon am frühen Nachmittag beginnen. Auch die Nahrungssuche wird dann in größeren bis großen Schwärmen betrieben.

Bestandsentwicklung

Bis zum heutigen Tage wirkt sich die immer wieder durchgeführte Bejagung und Verfolgung der Saatkrähe durch den Menschen dramatisch auf die Bestandsentwicklung in den jeweils betroffenen Regionen aus. Für Deutschland sind starke Bestandsrückgänge schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts dokumentiert. Trotz des Verlustes großer Teile des natürlichen Siedlungsgebietes gab es Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts - bezogen auf die Fläche der heutigen Bundesrepublik - aber immer noch einen Gesamtbestand von über 270 000 Brutpaaren (Glutz von Blotzheim 1993). Bis Anfang der 1960er Jahre war dieser Bestand dann auf etwa 20 % zusammengeschrumpft. An dieser Entwicklung war neben der gezielten Verfolgung durch den Menschen die Intensivierung innerhalb der Landwirtschaft mit einem immer mehr zunehmenden Einsatz von Agrochemikalien verantwortlich zu machen (Bauer & Berthold 1997). So wundert es nicht, daß trotz nachlassender Verfolgung in den Folgejahren die Bestände in den meisten Regionen weiterhin zurückgingen. So halbierte sich die Gesamtpopulation in Westdeutschland bis Mitte der 70er Jahre noch einmal auf etwa 14.000 bis 16.000 Brutpaare.

Eine Erholung der Bestände ist in Mitteleuropa erst seit Anfang der 80er Jahre zu verzeichnen. Allerdings liegen die Populationsgrößen auch nach den deutlichen Zunahmen in vielen Regionen noch immer bei einem Bruchteil der des 19. Jahrhunderts (vgl. Abb. 1).


Abb. 1:    Bestands­entwicklung der Saatkrähe in Nieder­sachsen und Bremen zwischen 1850 und 1985
(Heckenroth 1988)


In NRW und dem Kreis Höxter lassen sich die skizzierten Bestandsentwicklungen ebenfalls nachvollziehen. So gab es in Westfalen früher ausnehmend große Kolonien, deren größte im Krähenbusch südlich von Olfen Ende des 19. Jahrhunderts ca. 3.200 Nester aufwies (Peitzmeier 1969). Im 20. Jahrhundert sank der Bestand infolge der Verfolgung durch den Menschen kontinuierlich ab. Im Kreis Höxter erloschen bereits Anfang des 20. Jahrhunderts die Kolonien im Eichbusch bei Abbenburg und beim Gut Breitenhaupt (Preywisch 1962). Im Laufe der nächsten Jahrzehnte wurden auch die Kolonien bei Vinsebeck, Bredenborn, Thienhausen und Nieheim (Preywisch 1962) sowie bei Höxter, Warburg und Brakel (Eber 1966) vernichtet. In den fünfzigen Jahren existierten nur noch zwei kleine Kolonien bei Ruensick und Brakel sowie eine größere (ca. 350 Nester) im Eichenbestand von Wellenholzhausen bei Eichholz. Letztere geht auf eine Kolonie bei Vinsebeck zurück, die in den 30er Jahren zeitweilig bis 500 Nester aufwies und 1946, nach Abholzen des Waldes, nach Wellenholzhausen übersiedelte (Zabel 1960). Während die beiden kleineren Kolonien Ende der 50er Jahre verlassen waren, wies die Kolonie in Wellenholzhausen trotz menschlicher Verfolgung 1959 noch 264 Nester auf und war damit die größte oder zweitgrößte in ganz Westfalen (Preywisch 1962).

1977 brüteten in Westfalen nur noch 633 Paare in 11 Kolonien, 118 Paare davon im Wellenholz (vgl. Abb. 3). Der absolute Tiefpunkt in der Bestandsentwicklung wurde im Kreis Höxter im Jahr 1978 erreicht – in diesem Jahr konnten nur noch 54 Brutpaare bzw. besetzte Nester ermittelt werden (Abb. 3).

Tab. 1: Entwicklung der Saatkrähenbestände in Nordrhein-Westfalen in den 90er Jahren (Scholz, Lünen, schriftl.). Angegeben ist die Zahl der besetzten Nester und der bebrüteten Kolonien.

Jahr 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001
besetzte Nester 3.354 4.189 4.731 5.146 5.760 6.671 6.592 7.180 7.691 7.671 8.509
Kolonien 71 88 85 87 89 89 103 104 108 113 138

Infolge verstärkter Schutzbemühungen (u.a. Bundesartenschutzverordnung seit 25.8.1980) haben sich der Bestand und die Zahl der Kolonien in Westfalen bis Ende des 20. Jahrhunderts wieder mehr als verdoppelt, im Kreis Höxter sogar vervierfacht auf über 500 Brutpaare, verteilt auf aktuell 8 Kolonien (Tab. 1 und 2 im Anhang). Allerdings beschränken sich die Vorkommen weiterhin auf die Steinheimer Börde. Verloren gegangenes Terrain außerhalb der Börde konnte bisher nicht zurückgewonnen werden (vgl. Abb. 2). Die über Jahrzehnte im Wellenholz existierende große Kolonie ist im Jahr 1982 als Folge der wiederkehrenden „Bekämpfung“ durch die benachbarten Landwirte in Zusammenarbeit mit der Feuerwehr und durch wiederholtes Ausspritzen der besetzten Nester über einige Jahre hinweg erlöschen. Aktuell befindet sich die größte Kolonie innerhalb des Kreises am Schützenplatz in Steinheim.

Detaillierte Angaben hierzu können der Tabelle 2 im Anhang entnommen werden; die Abbildung 3 gibt die Gesamtentwicklung im Kreis Höxter wieder.

Abb. 2:    Verbreitung des Saatkrähe in Westfalen in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts (aus: NWO 2000)


Abb. 3:    Entwicklung des Saatkrähenbestandes (= Zahl der besetzten Nester) im Großraum Steinheim von 1975 bis 2003



Ausblick

Der Bestand der heimischen Brutpaare ist seit 2001 annähernd gleich geblieben, wenn auch die Zunahme der Saatkrähen in der Kolonie am Schützenplatz von Steinheim den Eindruck einer starken Zunahme der Bestände erwecken kann. Dem ist aber nicht so! Vielmehr scheint der Nachwuchs in andere Siedlungsräume abzuwandern. Eventuell ziehen die Jungvögel zusammen mit den bei uns überwinternden Saatkrähen im Frühjahr in Richtung Osten ab.

Eine weitere Zunahme der Brutbestände im Raum Steinheim ist nicht sehr wahrscheinlich, da das Angebot an geeigneten Brutplätzen bzw. Brutbäumen bereits jetzt voll ausgeschöpft ist. Insofern kann die Sorge von Teilen der Bevölkerung genommen werden, die eine weitere Zunahme dieser Vogelart und damit einhergehende Schäden in landwirtschaftlichen Kulturen befürchten.

Erwähnt werden muß in diesem Zusammenhang, daß ein Teil der Schäden, die seitens der Landwirtschaft geltend gemacht werden, selbst verschuldet sind. So neigt die Saatkrähe dazu, sich nahe geeigneter Nahrungsquellen auch in unmittelbarer Nähe zum Menschen aufzuhalten. Die von einigen Landwirten praktizierte offene Lagerung von als Futtermittel eingesetzten Abfällen, die bei der Herstellung von Süßwaren anfallen, sorgt im Bereich Steinheim so z.B. für eine abwechslungsreiche und konstante Nahrungsquelle, die von den Tieren gerne angenommen wird. Dies hat zur Folge, daß sich die Saatkrähen zusammen mit den Rabenkrähen in der Umgebung dieser Nahrungsquellen konzentrieren. Neben den Fraßschäden kommt es dort auch zu übermäßigen Beschädigungen von Silagefolien, und selbst Übergriffe auf Haus- und Nutztiere sind zu verzeichnen. Aber es bleibt nicht bei diesen vermeidbaren Beeinträchtigungen. Auch die Tiere selbst können durch das gedankenlose Verhalten einzelner Mitmenschen geschädigt werden. So sind Erkrankungen durch die "ungeeignete" Nahrungsaufnahme an den „Futterstellen“ und Übertragungen von Krankheiten vorprogrammiert. Hier ist an die Einsicht der Verantwortlichen zu appellieren, daß diese Mißstände beseitigt werden!

Literatur

Bauer, H.-G. & Berthold, P. (1997): Die Brutvögel Mitteleuropas. Bestand und Gefährdung. - Wiesbaden (Aula-Verlag)

Bezzel, E. (1993): Kompendium der Vögel Mitteleuropas. - Wiesbaden (Aula-Verlag)

Eber, G. (1966): Der Saatkrähenbestand in Nordrhein-Westfalen in den Jahren 1956-1965. - Abh. Landesmus. Naturkde Münster 28

Glutz von Blotzheim, U.N. et al. (1993): Handbuch der Vögel Mitteleuropas, Bd. 13. - Wiesbaden (Aula-Verlag)

Heckenroth, H. (1988): Die Situation der Saatkrähe (Corvus frugilegus) in Niedersachsen und Bremen. - Beih. Veröff. Naturschutz Landschaftspfl. Bad.-Württ. 53: 55-60

Nordrhein-Westfälische Ornithologengesellschaft (NWO) (2000)(Hrsg.): Die Vögel Westfalens. Ein Atlas der Brutvögel von 1989 bis 1994. - Beiträge zur Avifauna Nordrhein-Westfalens 37

Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. - Abh. Landesmus. Naturkde Münster 41(3/4)

Zabel, J. (1960): Die Saatkrähe in Westfalen. - Abh. Landesmus. Naturkde Münster 22(2)


Anschriften der Autoren: Helmut Struck
c/o Deutsche Waldjugend
Teichweg 4
32839 Steinheim

Dr. Burkhard Beinlich
c/o Landschaftsstation im Kreis Höxter
Zur Specke 4
34434 Borgentreich