Beiträge zur Naturkunde zwischen Egge und Weser 18 (2006)
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Die "Hannoverschen Klippen", ein Naturschutzgebiet der Sonderklasse

Von Burkhard Beinlich & Frank Grawe

Zwischen Würgassen und Bad Karlshafen wird die Weser am nördlichen Talhang von mehreren markanten Buntsandsteinfelsen überragt, den so genannten "Hannoverschen Klippen". Die Sandsteinkanzeln, von denen aus sich ein grandioser Blick auf das Wesertal eröffnet, machen das Gebiet zu einem attraktiven Ausflugsziel. Aber nicht nur für die Erholungssuchenden und Urlauber ist das Naturschutzgebiet von großer Attraktivität: Es stellt auch den Lebensraum zahlreicher seltener Arten aus der heimischen Fauna und Flora dar und macht es somit zu einem Schutzgebiet überregionaler Bedeutung!

Abbildung 1
Abb. 1: Blick von Aussichtsplattform auf das NSG "Hannoversche Klippen" und das Wesertal
(Foto: F. Grawe)

Gebietsbeschreibung

Die "Hannoverschen Klippen" sind zusammen mit den auf der anderen Weserseite gelegenen Hessischen Klippen die einzigen größeren natürlichen Buntsandstein-Felsen im Weserbergland. Die Felskanzeln, die Höhen von bis zu 75 m aufweisen, stellen somit einen einzigartigen Geotop dar (Lepper 1993). Herausmodelliert wurden die Felsformationen durch die sich immer weiter ins Durchbruchstal zwischen Reinhardswald und Solling einschneidende Weser. Eingebettet ist die für das Weserbergland einzigartige Felsformation in einen seit vielen Jahrzehnten nicht mehr bewirtschafteten Eichen-Buchenwald, der vor allem im zentralen und östlichen Bereich urwaldähnliche Züge annimmt. Dort finden sich über 300 Jahre alte Buchen und Eichen, die ihr Optimum längst überschritten haben und sich in der Zerfallsphase befinden. Ausgebrochene Kronen und abgebrochene Äste, abgestorbene, oftmals hohle Baumstämme und umgestürzte Baumriesen vermitteln das Bild eines verwunschenen Märchenwaldes, wie er in den modernen Wirtschaftswäldern nicht mehr anzutreffen ist.

In der Vergangenheit wurden die Waldbestände aber sehr wohl genutzt, v.a. vermutlich für die Brennholzgewinnung. Jedoch hat die Steilheit des Geländes schon immer eine intensivere Nutzung verhindert, so dass sich im Bereich der Hannoverschen Klippen wohl immer ein lichter Wald gehalten hat. So ist das Gebiet z.B. auf einer alten preußischen Karte aus dem Jahre 1784 als bewaldet dargestellt (Groth, 1992). Allerdings diente der Wald, wie bis ins 19. Jahrhundert üblich, als Ziegen- und Schafweide. Die Weidetiere haben v.a. am Unterhang dafür gesorgt, dass diese Bereiche weitgehend gehölzfrei waren (vgl. Abb. 3).

Eine weitere Besonderheit stellen die kleinflächig auf flachgründigen, schwach entwickelten Böden, sog. Rankern, anzutreffenden strauchreichen, natürlichen Traubeneichen-Buchenwälder und die blütenreichen, zunehmend verbuschenden trockenwarmen Säume am Hangfuß der Klippen dar.

Abbildung 2
Abb. 2: Lage des Naturschutzgebietes "Hannoversche Klippen"
(Karte: W. Köble; © Geobasisdaten: LVA NRW, Bonn, 2005)

Geologie und Böden

Den geologischen Untergrund des NSG bilden verschiedene Formationen des Buntsandsteins. Die eigentliche Felszone unterhalb der Klippenköpfe wird von den erosionsbeständigen hellen Trendelburg-Schichten gebildet, während die darüber folgenden violettbraunen, plattigen Sandsteine der Karlshafenschichten nur örtlich am Oberhang zutage treten. Beide Schichten liefern unterschiedlich geartete Naturwerksteine, die seit Jahrhunderten in zahlreichen Steinbrüchen im Gebiet gewonnen wurden und außerhalb des NSG auch heute noch abgebaut werden. Die daraus hergestellten Sandsteinplatten und Mauersteine prägen bis heute die historische Kulturlandschaft des Weserberglandes! Die insgesamt sieben Felsköpfe stellen stehengebliebene Rippen dar, zwischen denen die Schichten aufgrund von Auslaugungen im Untergrund (Salztektonik) eingebrochen sind. Viele Meter oberhalb der Klippen finden sich hier und da Kiesgerölle der Weser, die belegen, dass sich das Flussbett während der letzten Million Jahre im Mittel um etwa 20 cm pro Jahrtausend eingetieft hat (Lepper 1993 u. Geologisches Landesamt NRW, 1989).

Abbildung 3
Abb. 3: Die Hannoverschen Klippen 1873 (aus: Mertens, 1960)

Hinsichtlich der Böden ist das Gebiet dreigeteilt. So finden sich in den steil geneigten Bereichen geringmächtige, schwach entwickelte, teils pseudovergleyte Braunerden und Ranker, im Westteil durchweg geringmächtige Braunerden und an den Unterhängen sowie im östlichen Teil teils pseudovergleyte schwach entwickelte Parabraunerden (Geologisches Landesamt NRW, 1993).


Das NSG "Hannoversche Klippen" als Lebensraum

Der ehemalige Hudewald an den Hannoverschen Klippen hat sich zwischenzeitlich zu einem mehr oder weniger geschlossenen, unterwuchsreichen Waldbestand entwickelt. Er ist durch einen ungewöhnlich hohen Alt- und Totholzanteil gekennzeichnet, wie folgende Zahlen belegen: Die Zahl der Altbäume pro Hektar liegt durchschnittlich zwischen 85 (in den wüchsigeren Rinnenlagen) und 107 (im Bereich der flachgründigen, trockenen Felskuppen). Zum Vergleich: Aus naturschutzfachlicher Sicht werden in Wirtschaftswäldern derzeit Waldbestände mit einem Altholzanteil von mindestens 10 Bäumen/ha angestrebt, um der alt- und totholzbewohnenden Fauna ausreichenden Lebensraum zu bieten. Diese Zielvorgabe wird im NSG um ein vielfaches übertroffen! Mit dem Angebot an alten Bäumen geht ein entsprechendes hohes Angebot an Baumhöhlen einher. So wurden im Rahmen von Kartierarbeiten im Jahr 2002 zwischen 22 Baumhöhlen/ha (in den Rinnenlagen) und 30/ha (Kuppenlagen) ermittelt.

Auch hier macht der Vergleich mit anderen Altholzbeständen die herausgehobene Stellung der Hannoverschen Klippen deutlich: Noeke (1991) nennt z.B. für einen forstlich genutzten Buchenaltbestand (140-jährig) im Hochsauerland 5,3 Naturhöhlen/ha und 2,3 Spechthöhlen/ha. Ein Naturwald würde auf demselben Standort 15,7 Naturhöhlen/ha bzw. 5,3 Spechthöhlen/ha aufweisen, eine Zahl, die im NSG deutlich übertroffen wird. Das gilt zumindest für die Altholzbestände auf den trockenen Kuppen auch im Vergleich zu bayrischen Naturwaldzellen, die nach Rauh (1993) durchschnittlich 25 Höhlen/ha aufweisen.

Die hohe Habitatqualität der Hannoverschen Klippen für die holzbewohnenden (xylobionten) Arten wird auch durch den hohen Anteil liegenden Totholzes (bis zu 67 Festmeter/ha) unterstrichen. Einhergehend mit dieser Vielfalt an Alt- und Totholzstrukturen hat sich eine vielfältige, auf diese Strukturen angewiesene Fauna etabliert. Vor allem Spechte, Fledermäuse und Bilche finden gute Habitatstrukturen vor (s.u.).


 

Anmerkungen zur Vegetation

Der Baumbestand selbst wird von alten Buchen (Fagus sylvatica) und Stiel-Eichen (Quercus robur) dominiert. Die Bäume weisen teilweise ein Alter von über 300 Jahren auf (Wolf, mündl.). Entsprechend der unterschiedlichen Wasserversorgung und vor allem Besonnung dominiert in den Rinnen die Rot-Buche, während auf den Felsrippen die lichtliebendere und hinsichtlich der Wasserversorgung anspruchslosere Stiel-Eiche häufiger vorkommt. Beigemischt sind in beiden Fällen Hainbuche (Carpinus betulus) und Berg-Ahorn (Acer pseudoplatanus).

Die Buche als Schattholzart ist sowohl in den Rinnen als auch auf den Rippen dabei die lichtliebende Eiche zu verdrängen. Insbesondere in den Rinnenlagen findet sich teilweise kaum noch Eichenjungwuchs.

Abbildung 5
Abb. 5: Repräsentative Querschnitte der Hannoverschen Klippen. Oben Schnitt duch ein Kerbtal. Unten Schnitt im Bereich einer Felsrippe.

In absehbarer Zeit dürfte aufgrund der fehlenden Verjüngung ein Umbau der Bestände hin zur absoluten Dominanz der Buche erfolgen.

Weite Teile der Bestände sind als Hainsimsen-Buchenwald (Luzulo luzuloidis-Fagetum (Du Rietz 1923)) anzusprechen. Mit typischen Arten wie Weiße Hainsimse (Luzula luzuloides), Draht-Schmiele (Deschampsia flexuosa (= Avenella flexuosa)) oder Goldnessel (Galeobdolon luteum agg.) in der Krautschicht sind die Bestände gut und typisch ausgebildet.

In besser mit Nährstoffen versorgten Bereichen, tendenziell im östlichen Teil und an den Unterhängen, finden sich Übergänge zum Waldmeister-Buchenwald (Galio odorati-Fagetum (Meyer 1964)), namentlich überwiegend in der Subassoziation des Perlgras-Buchenwaldes (Melico-Fagetum (ebenda)) mit Arten wie Einblütigem Perlgras (Melica uniflora), Busch-Windröschen (Anemone nemorosa) oder Waldmeister (Galium odoratum).

Generell erfolgen die Übergänge zwischen beiden Waldgesellschaften kleinsträumig und fließend.

Im Westteil des UG wurden zwischen die Buche-Eiche-Bestände in den 20er und 30er Jahren des 20. Jh. Robinien (Robinia pseudoacacia) gepflanzt (Wolf, mündl.), eine Fehlentwicklung, die in den kommenden Jahren korrigiert werden sollte.

Abb. 6: Eichen auf Sandstein
(Foto: F. Grawe)

An den trockenen und gut besonnten Sandstein-Felsköpfen gedeihen schüttere Felsfluren mit acidophilen Arten wie Salbei-Gamander (Teucrium scorodonia), Purpur-Fetthenne (Sedum telephium), Rauhe Nelke (Dianthus armeria) oder Heidekraut (Calluna vulgaris).

An den in Teilbereichen noch unbewaldeten, ebenfalls gut besonnten Hangfüßen oberhalb der Eisenbahnlinie haben sich auf Erosionsschuttkegeln schwachwüchsige wärmeliebende Mittelklee-Säume (Trifolion medii (Th. Müller 1961)) sowie thermophile Schlehen-Weißdorn-Gebüsche (Crataego-Prunetum (Hueck 1931) (in NRW als gefährdet eingestuft, Schutz durch § 62 LG-NRW)) etabliert. Hier finden sich Arten wie Liguster (Ligustrum vulgare), Pfaffenhütchen (Euonymus europaeus), Schwarznessel (Ballota nigra) und wiederum Purpur-Fetthenne.

Für das NSG liegt aktuell der Nachweis von acht Pflanzenarten vor, die in den Roten Listen NRW (LÖBF 1999) bzw. BRD (BFN 1996) als gefährdet geführt werden (vgl. Tab. 1). Besonders zu erwähnen sind die in lichten Bereichen der Waldbestände wachsende, im Weserbergland stark gefährdete Stachel-Segge (Carex muricata agg.) sowie die gefährdete und gemäß Bundesartenschutzverordnung geschützte, am Hangfuß in guten Individuenzahlen wachsende Rauhe Nelke (Dianthus armeria).

Die gefährdeten Arten finden sich überwiegend im Bereich der mageren Säume am Hangfuß der Klippen. Der noch Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts von Preywisch (1979) auf-gefundene Weidenblättrige Alant (Inula salicina) konnte im Rahmen einer gründlichen vegetationskundlichen Kartierung nicht mehr bestätigt werden.

Tab: 1 Gefährdete und geschützte Gefäßpflanzenarten im Bereich des NSG "Hannoversche Klippen". Die hellgrau unterlegten Arten finden sich im Bereich der mageren Säume am Hangfuß und an den Felsköpfen.
Bild von Tabelle 1

Anmerkungen zur Tierwelt

Für die heimische Tierwelt ist das NSG "Hannoversche Klippen" von herausragender, regionaler und z.T. sogar überregionaler Bedeutung. Bedingt durch das vielfältige Angebot an unterschiedlichen Lebensräumen und Fraßpflanzen (z.B. warme Felsköpfe, kraut- und strauchreiche, wärmegetönte Unterhänge und Geröllfelder, artenreicher Mischwald mit hohem Anteil an stehendem und liegendem Totholz, feuchtere Schluchten, Trockenmauern oder ehemalige Steinbrüche) finden hier ausgesprochen viele Arten einen ihnen zusagenden Lebensraum. Zu einem großen Teil handelt es sich um Lebensraumspezialisten, die im Weserbergland selten oder in ihren Beständen gefährdet bzw. stark gefährdet sind. Selbst mehrere vom Aussterben bedrohte Arten sind im Bereich der Hannoverschen Klippen anzutreffen:

Säugetiere (Mammalia)

Aus der Gruppe der Säugetiere sind vor allem die Fledermäuse als wertbestimmende Arten zu nennen. Eindeutige Nachweise liegen vom Abendsegler (Nyctalus noctula), von der Zwergfledermaus (Pipistrellus pipistrellus) und von der Bechsteinfledermaus (Myotis bechsteinii) vor. Neben Bechsteinfledermaus und Abendsegler sind weitere Baumhöhlen bewohnende Arten zu erwarten, aber nicht eindeutig belegt. Die Zwergfledermaus dürfte als Gebäudebewohner sowohl von Würgassen als auch von Bad Karlshafen aus das NSG zum Nahrungserwerb aufsuchen. Als bevorzugtes Jagdrevier dient zumindest für Abensegler und Zwergfledermaus der wärmegetönte, insektenreiche untere Hangbereich der Klippen.

Die dichten Gebüschbestände am Hangfuß stellen den Lebensraum des Siebenschläfers (Glis glis) dar. Diese Bilchart, die im Weserbergland ihre nördliche Verbreitungsgrenze erreicht, ist im NSG nicht selten, wie das laute Treiben der Tiere entlang des gesperrten Verbindungsweges zwischen Würgassen und Bad Karlshafen nach Anbruch der Dunkelheit deutlich belegt. Der Siebenschläfer profitiert im Gebiet anscheinend vom guten Angebot an natürlichen Wohnplätzen wie Felsspalten und Baumhöhlen (vgl. Schröpfer et al. 1984). Trotz räumlicher Nähe zu den Ortschaften Würgassen und Bad Karlshafen und den zahlreichen Spaziergängern im Gebiet können weiterhin Hase, Reh, Fuchs und Wildschwein regelmäßig angetroffen werden.

Avifauna (Aves)

2003 wurde die Vogelfauna des NSG detaillierter untersucht. Insgesamt wurden 40 Arten ange-troffen. 28 Arten nutzten im Jahr 2003 das Gebiet auch als Brutgebiet (vgl. Tab. 2). Bei den restlichen Arten handelt es sich um Nahrungsgäste oder Tiere auf dem Durchzug. Besonders charakteristisch sind die Brutvorkommen des in NRW stark gefährdeten Mittelspechtes. Beim Mittelspecht handelt es sich um eine Spechtart, die bevorzugt Eichenwälder bewohnt und dementsprechend im von Buchenwäldern dominierten Kreis Höxter nur in wenigen Waldgebieten anzutreffen ist. In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts sind von Preywisch weitere Brutnachweise von seltenen bzw. gefährdeten Arten erbracht worden: So gehörten damals Rotmilan, Steinkauz (!), Klein-, Grün- und Grauspecht sowie der Gartenrotschwanz zu den Brutvögeln. Das ehemalige Vorkommen des Steinkauzes, einem Bewohner lichter Baumbestände (wie z.B. von Streuobstwiesen), ist besonders erwähnenswert, denn es belegt, dass der Wald im NSG vor 30 Jahren noch viel lichter als heute gewesen ist (vgl. Abb. 3).

Tab. 2: Im Jahr 2003 im NSG Hannoversche Klippen nachgewiesene wertbestimmende Vogelarten, ergänzt um bemerkenswerte Nachweise durch Preywisch aus den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Abk.: BV = Brutvorkommen, NG = Nahrungsgast
Bild von Tabelle 2

Reptilien und Amphibien (Reptilia et Amphibia)

Die Blindschleiche (Anguis fragilis) ist ebenso wie die beiden heimischen Eidechsenarten regelmäßig im Gebiet zu beobachten. Während Blindschleiche und Waldeidechse (Lacerta vivipara) in NRW noch weit verbreitet sind, gehört die Zauneidechse (Lacerta agilis) in NRW zu den stark gefährdeten Arten. Bundesweit wird ihr Bestand als gefährdet eingestuft. Während die beiden erst genannten Arten im ganzen Gebiet anzutreffen sind, scheinen sich die Vorkommen der Zauneidechse auf die noch offenen Schuttfluren am Hangfuß zu beschränken.

Abbildung 7
Abb. 7: Ringelnatter (Natrix natrix)
(Foto: F. Grawe)

Auch für die beiden heimischen Schlangenarten liegen Nachweise aus den letzten Jahren und Jahrzehnten vor. Preywisch (schriftl.) hat in den 70er Jahren sowohl die Ringelnatter (Natrix natrix, RLNRW 2, RLBRD 3) als auch die Schlingnatter (Coronella austriaca, RLNRW 2, RLBRD 2) im Bereich der Hannoverschen Klippen bzw. der angrenzenden Weseraue nachweisen können. Beide Arten wurden im Zeitraum von 1995 bis 1998 von Retzlaff bestätigt – ein ausgewachsenes Ringelnatterweibchen wurde im Frühjahr 2005 sogar am Oberhang im Bereich der Felsköpfe durch den Erstautor sonnend angetroffen. Mit fünf Arten ist somit die gesamte Reptilienfauna des Weserberglandes im Gebiet beheimatet!

Im Gegensatz zu den Reptilien ist die Bedeutung des NSG für die Amphibien eher gering. Im Bereich des Steinbruches wurden Erdkröte (Bufo bufo) und Feuersalamander (Salamandra salamandra) nachgewiesen. Wo sich die Tiere fortpflanzen ist unbekannt. Im NSG sind geeignete Gewässer nicht vorhanden. In Frage kommen eigentlich nur strömungsberuhigte Bereiche in Buhnen an der Weser.

Schmetterlinge (Lepidoptera)

Insbesondere für die Schmetterlingsfauna sind die Hannoverschen Klippen von ganz besonderer Bedeutung. Bisher wurden hier 527 Arten nachgewiesen, wobei die Masse der Arten den Nachtfaltern und dort den Spannern und Eulenfaltern zuzuordnen ist (vgl. Retzlaff 1994, 1999).

Welche Bedeutung dem NSG für die Schmetterlingsfauna beizumessen ist, wird deutlich, wenn man die Zahlen mit den Werten aus den östlich gelegenen Waldungen des Reiherbachtals (Hutewaldprojekt) vergleicht. Dort wurden in mehrjährigen intensiven Untersuchungen auf einer wesentlich größeren Fläche insgesamt 26 Tagfalter- und 360 Nachtfalterarten festgestellt (Sonnenburg & Gerken 2003). Das sind 140 Arten weniger als im Bereich des NSG Hannoversche Klippen, welches wesentlich kleiner als das Vergleichsgebiet ist. Hauptgrund hierfür ist die klimatisch begünstigte Lage des NSG im Wesertal mit den überwiegend südexponierten Steilhängen. In Kombination mit den alten Baumbeständen und den waldfreien Klippen und Schotterfluren sowie den eher feuchten Lebensräumen der direkt benachbarten Weseraue erhält das Gebiet seine regional einmalige Bedeutung als Schmetterlingslebensraum!

Tab. 3: Anzahl der im NSG "Hannoversche Klippen" bisher nachgewiesenen Schmetterlingsarten (Datengrundlage: Retzlaff 1994, 1999 - ergänzt um eigene Erhebungen aus dem Jahre 2003)

a) Tagfliegende Schmetterlinge

Mit 29 bisher nachgewiesenen Arten machen die tagfliegenden Schmetterlingsarten nur gut 5 % des gesamten Artenbestandes aus. Dennoch ist die Artenzahl in Anbetracht dessen, dass es sich beim Untersuchungsgebiet um ein Waldgebiet handelt, sehr hoch. Diese Aussage gilt auch für die 2003 aktuell nachgewiesenen 24 Arten. Ein Erstnachweis konnte 2003 für den Blauen Eichenzipfelfalter (Quercusia quercus) erbracht werden, der, wie sein Name schon besagt, auf das Vorkommen von Eichen angewiesen ist.

Es ist davon auszugehen, dass die Arten, deren Nachweise aus früheren Jahren stammen, mit einigen Ausnahmen auch heute noch im NSG angetroffen werden können. Verloren gegangen ist vermutlich der Senfweißling, der in ganz NRW stark Bestandseinbußen hinnehmen musste. Auch das Gemeine Blutströpfchen und der Mauerfuchs sind aufgrund der zunehmenden Verbuschung der unteren Hangbereiche aktuell nicht mehr zu erwarten. Diese Arten könnten aber bei entsprechender Pflege des Lebensraumes aus der Umgebung wieder einwandern.

Tab. 4: Tagfalter, Dickkopffalter und Widderchen im NSG Hannoversche Klippen. Die Altdaten stammen aus Retzlaff (1994).
Abk.: U = Ubiquist; mO = mesophile Offenlandsart, mgÜ = mesophile Art gehölzreicher Übergangsbereiche, mW = mesophile Waldart, xO = xerothermophile Offenlandsart, xG = xero-thermophiler Gehölzbewohner, hO = hygrophile Offenlandsart
v = vereinzelt r = regelmäßig h = häufig sh = sehr häufig

b) Nachtfalter (nach Retzlaff 1994, 1999)

Aus der Gruppe der Nachtfalter wurden im Rahmen der Untersuchungen von Retzlaff (1994, 1999) im Zeitraum von 1971 bis 1994 499 Arten nachgewiesen. Zahlreiche Arten sind in NRW (94 Arten) oder im Weserbergland (198 Arten) in ihren Beständen gefährdet, stark gefährdet oder sogar vom Aussterben bedroht. Retzlaff (1999) nennt zwei weitere Falterarten, die heute im Weserbergland vom Aussterben bedroht sind, und die ehemals auch im Bereich der Hannoverschen Klippen vorgekommen sind. Es handelt sich um die Eulenfalterart Aedia funesta (ein Nachweis vor 1930) und die Spanner-Art Minoa murinata (Nachweis vor 1891).

Sowohl die hohen Artenzahlen als auch der große Anteil an gefährdeten Arten belegt die Einzigartigkeit des NSG und die überregionale Bedeutung für den Artenschutz. Allerdings wird die Bedeutung des Gebietes für die Schmetter-lingsfauna durch die zunehmende Verbuschung der lokalklimatisch begünstigten Lebensräume am Hangfuß, die für die Vorkommen zahlreicher wärme- und trockenheitsliebender Arten (ca. 18 % der gefährdeten Arten) ausschlaggebend sind, stark gefährdet!

Tab. 5: In NRW gefährdete Arten innerhalb der Gruppe der Schmetterlinge (excl. Psychidae, Sesiidae, Pyralidae; N = 464 Arten)
(aus: Retzlaff 1994)
Bild von Tabelle 5

 

Totholzbewohnende Käfer (Coleoptera)

Die Waldbestände des NSG werden von alten bis sehr alten Bäumen (v.a. Eiche und Buche) geprägt. Für die Ausbildung einer artenreichen Totholzfauna ist neben einem reichhaltigen Angebot an krankem und totem großvolumigen Holz, sowohl stehend als auch liegend, eine ausreichende Besonnung (=Wärme) notwendig. Diese Rahmenbedingungen sind im NSG erfüllt, so dass zahlreiche totholzbewohnende Käferarten dort einen geeigneten Lebensraum antreffen. Die Tabelle 6 gibt einen Überblick über die bisher nachgewiesenen Arten. Eine ganze Reihe der dort aufgeführten Arten (z.B. Lucanus cervus, Cerambyx scopolii oder Phymatodes testaceus) sind für ihr Vorkommen auf großvolumiges Totholz angewiesen, welches in normalen Wirtschaftswäldern nur selten anzutreffen ist, im NSG aber in großer Menge vorkommt. Ähnlich wie für die Schmetterlingsfauna kommt den Wäldern an den Hannoverschen Klippen somit eine große, regionale wenn nicht gar überregionale Bedeutung zu.

Abbildung 8
Abb. 8: Hirschkäfer (Lucanus cervus)
(Foto: F. Grawe)

Sonstiges

Neben den bereits aufgeführten Tiergruppen ist das NSG für weitere gefährdete oder seltene Arten aus anderen Gruppen von großer regionaler oder überregionaler Bedeutung (vgl. Tab. 7). Allein die nur durch Zufallsfunde dokumentierte Laufkäferfauna (Retzlaff 1999) weist zwei in NRW vom Aussterben bedrohte Arten (Cychrus attenuatus, Carabus intricatus) auf.

Aus der Gruppe der Heuschrecken gelang Retzlaff (1993, 1994) der Nachweis der Ameisengrille (M. acervorum). Diese Tierart, die unterirdisch in den Nestern von bestimmten Ameisenarten in klimatisch begünstigten Lagen lebt, konnte in NRW bisher nur im Kreis Höxter an drei Standorten festgestellt werden. Aufgrund der spezialisierten Lebensweise ist die Gefährdungsdisposition für die Ameisengrille groß und ihr Vorkommen im NSG ist aufgrund der zunehmenden Verbuschung der ehemals gehölzfreien Unterhänge gefährdet.

Erwähnt werden sollen noch die guten Bestände des Gemeinen Leuchtkäfers (Phausis splendidula), der v.a. in den Gebüschen und lichten Waldbeständen am Unterhang der Hannoverschen Klippen in großer Individuendichte auftritt und an lauen Juniabenden für ein beeindruckendes Naturschauspiel sorgt!


Tab. 7: Sonstige gefährdete Tierarten des NSG Hannoversche Klippen (nach: Retzlaff 1994, 1999)
1 = vom Aussterben bedroht, 2 = stark gefährdet, 3 = gefährdet
R = sehr seltene Art, V = Art der Vorwarnliste, G = Gefährdung anzunehmen, aber Status unbekannt
Bild von Tabelle 7

Maßnahmen zum Erhalt der Artenvielfalt

Wesentliches Ziel von kurz- bis mittelfristig durchzuführenden Maßnahmen muss der Erhalt und die Förderung der Eiche bzw. eines lichten, wärmebegünstigten Eichenwaldes sein. Denn kaum eine Baumart bzw. andere Waldformation in Mitteleuropa bietet mehr Tier- und Pflanzenarten einen geeigneten Lebensraum. Die Verjüngung der Eichenbestände könnte idealerweise mittels Eichen-Trupppflanzung wie von Gockel (2003) beschrieben, erfolgen.

Ein zweiter Maßnahmenkomplex zielt auf den insbesondere für die Insektenfauna überlebenswichtigen Erhalt der durch fortschreitende Sukzession in ihrem Bestand bedrohten thermophilen Säume und Felsbandfluren am Hangfuß ab. Dort sind die heute dominierenden Gebüsche zurückzunehmen, um wieder eine stärkere Besonnung der Schuttkegel und Felsbänder zu ermöglichen. Diese Pflegemaßnahme wurde seitens der Landschaftsstation im Kreis Höxter im Winterhalbjahr 2003/2004 in Teilbereichen erstmals durchgeführt und soll in den nächsten Jahren sukzessive fortgeführt werden.

Zum Schluß noch eine Bitte!

Seit Jahren schwelt ein Streit um die Betretbarkeit des sogenannten Klippenweges. Er ist seit geraumer Zeit aus Gründen der Verkehrssicherheitspflicht gesperrt, da für die Spaziergänger eine erhebliche Gefährdung durch herabstürzende Äste oder umfallende Bäume besteht! Wollte man den Klippenweg verkehrssicher gestalten, müssten Dutzende von uralten Eichen und Buchen gefällt werden. Aber gerade diese Bäume machen den Reiz und die Wertigkeit des NSG aus! Zudem ist das Fällen der Bäume am Steilhang mit hohen Kosten und mit Gefahren für Leib und Leben der Forstarbeiter verbunden. Mehrere Unfälle zeugen davon!

Es wird deshalb um Verständnis dafür gebeten, dass der Klippenweg auch zukünftig gesperrt bleiben wird und an das Verständnis der Bevölkerung appelliert, das Wegegebot zu akzeptieren. Nur so kann das einzigartige Zeugnis weitgehend unberührter Natur im Oberweserraum erhalten werden. Eine Aussichtskanzel steht dem Wanderer auch weiterhin zur Verfügung, von wo aus er den herrlichen Blick ins Wesertal geniesen kann!

Literatur

Bauer, H.-G. et al. (2002): Rote Liste der Brutvögel Deutschlands. - Ber. Vogelschutz 39: 13-60

BfN, Bundesamt für Naturschutz (1998): Rote Liste gefährdeter Tiere Deutschlands. - Schr.R. Landschaftspflege und Naturschutz 55.

Gockel, H.A. (2003): Die Eichen-Trupppflanzung. Düsseldorf

Groth, B. (1992): "Hannoversche Klippen". Ein Waldnaturschutzgebiet stellt sich vor. – Broschüre der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, Kreisverband Höxter.

LÖBF, Landesanstalt für Ökologie, Bodenordnung und Forsten/Landesamt für Agrarordnung [Hrsg.] (1999): Rote Liste der gefährdeten Pflanzen und Tiere in Nordrhein-Westfalen, 3. Fass. – LÖBF-Schr.-R. 17.

Lepper, J. (1993): Die Hannoverschen Klippen bei Bad Karlshafen – Dokumentation eines Geotopes. – Ber. Naturhist. Ges. Hannover 135: 213-219

Meinecke, Ronald & Ute Scheller (REKUNA GMbH) (2002): FFH-Verträglichkeitsstudie zur Erweiterung der Steinbrüche Niemeyer und Spindler. unveröffentlichtes Gutachten. Witzenhausen

Mertens, E.: Weser-Dampfschiffe - Olms Presse, Hildesheim 1960

MUNLV (2000): Landesforstgesetz NRW i.d. Fassung der Bekanntmachung vom 24.4.1980, zuletzt geändert durch Gesetz vom 9.5.2000, Düsseldorf.

Noeke, G. (1991): Abhängigkeit der Dichte natürlicher Baumhöhlen von Bestandsalter und Totholzangebot. Natursch. Zentr. Nordrh. Westf., Seminarbericht 10: 51-53 zit. n.: Scherzinger, W. (1996): Naturschutz im Wald: Qualitätsziele einer dynamischen Waldentwicklung, Verlag Eugen Ulmer & Co., Stuttgart.

Rauh, J. (1993): Faunistisch-ökologische Bewertung von Naturwaldreservaten anhand repräsentativer Tiergruppen. - Naturwaldreservate/ Schriftenr. Bayer. Staatsmin. ELF 2. zit. n.: Scherzinger, W. (1996): Naturschutz im Wald: Qualitätsziele einer dynamischen Waldentwicklung, Verlag Eugen Ulmer & Co., Stuttgart.

Retzlaff, H. (1994): Entwurf für ein Pflege- und Entwicklungskonzept für das NSG "Hannoversche Klippen" im Kreis Höxter. – unveröff. Gutachten im Auftrag der LÖBF

Retzlaff, H. (1999): schriftliche Mitteilung

Schröpfer, R., R. Feldmann & H. Vierhaus (Hrsg.) (1984): Die Säugetiere Westfalens. - Abh. Westf. Museum f. Naturkunde 4

Sonnenburg, H. & B. Gerken (2003): Das Hutewaldprojekt im Solling. - Höxter (Huxaria)

Steinborn,G. (1999): Kartierung des Mittelspechtes im Kreis Höxter. - Veröff. Naturkundl. Verein Egge-Weser 12: 19-32


    Anschrift der Verfasser: Dr. Burkhard Beinlich
                             Frank Grawe
                             Landschaftsstion im Kreis Höxter
                             Zur Specke 4
                             34434 Borgentreich
                             www.landschaftsstation-hoexter.com