www.egge-weser-digital.de — Beiträge zur Naturkunde zwischen Egge und Weser 20 (2008) 031-040

Wilde Weiden im Kreis Höxter

Von Burkhard BEINLICH und Frank GRAWE

Einleitung

Seit gut zwei Jahrzehnten wird die Eignung robuster Haustierrassen auf großen Weideflächen als Landschaftsgestalter diskutiert und im Rahmen zahlreicher Vorhaben in Deutschland und dem benachbarten Ausland erprobt. Eine Vorreiterrolle haben die Niederlande übernommen, die seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts "Naturentwicklung" mit großen Weidetieren betreiben. Die mit 6.000 ha größte zusammenhängende Weidefläche dieser Art liegt direkt vor den Toren Amsterdams im Oostvaadersplassen bei Lelystad in Flevoland. Dort wurden 1983/84 32 Heckrinder und 20 Konikpferde "ausgewildert". Die Bestände sind auf heute etwa je 700 Rinder und Pferde angewachsen. Zusammen mit rund 1.000 Rothirschen haben diese Großsäuger eine Feuchtgebietslandschaft geschaffen, die einzigartig in Europa ist (Abb. 1) und insbesondere für Wasservögel internationale Bedeutung erlangt hat.

Abbildung 1

Abb. 1: Große Tierherden prägen das Bild im Oostvaadersplassen bei Lelystad, Niederlande. (Foto: Burkhard BEINLICH)

Den fachlichen Hintergrund für die Schaffung großflächiger, ganzjährig in geringer Dichte beweideter Landschaften liefern folgende Überlegungen: Bereits in der "Urlandschaft", also vor dem massiven Einwirken des Menschen, dürften Herden von großen Pflanzenfressern (Hirsch, Elch, Wisent, Auerochse, Wildpferd etc.) durch Fraß und Tritt in bestimmten Bereichen (z. B. den Flussauen) zu halboffenen Waldlandschaften mit einem abwechslungsreichen Mosaik aus Weiderasen, Hochstaudenfluren, offenen Böden, Gebüschen und Wäldern geführt haben (vgl. GEISER 1992, BUNZEL-DRÜKE 1997 u. a.). Ganz ähnliche Landschaftsbilder dürften auch durch die mittelalterliche Waldweide geschaffen worden sein, wenngleich die Nutzungsintensitäten durch die damaligen Haustiere hoch bis sehr hoch war (KLEIN et al. 1997). Punktuell haben sich Relikte dieser parkartigen Landschaften in Mitteleuropa bis heute erhalten. Untersuchungen der Flora und Fauna belegen die hohe Bedeutung dieser Weidelandschaften für den Artenschutz (vgl. ASSMANN & FALKE 1997, HÜPPE 1997, POSCHLOD et al. 2002, v. OHEIMB et al. 2006, GERKEN et al. 2008a, GERKEN et al. 2008b).

Im Gegensatz zu der früher praktizierten Hütehaltung, sei es von Schafen, Rindern, Schweinen oder Pferden, werden die heutigen "Wilde Weiden" großräumig gekoppelt und die Betreuungsintensität seitens des Menschen wird auf das notwendige Minimum beschränkt. Dies hilft Kosten senken und macht extensive Weidesysteme als weitere Strategie des Naturschutzes zu einer Alternative zum klassischen Biotoppflege, zur ökologischen Landwirtschaft oder zum Prozessschutz bisheriger Prägung.

Idealerweise findet die Beweidung ganzjährig statt, da sich gezeigt hat, dass die Weidetiere vor allem im Winterhalbjahr verstärkt Gebüsche und Bäume verbeißen oder deren Rinde schälen. Weiterhin werden im Winterhalbjahr auch vorher gemiedenes überständiges Gras oder Kräuter als "stehendes" Heu gefressen. Als erhoffter Effekt soll sich eine Landschaft einstellen, die einerseits aus offenen und durchaus auch relativ intensiv beweideten und andererseits aus unterschiedlichen Sukzessionsstadien einschließlich der (natürlichen) Schlusswaldgesellschaften besteht. Dabei wird bewusst in Kauf genommen, dass die räumliche und zeitliche Entwicklung weder exakt steuerbar noch das Ergebnis genau vorhersagbar ist (KLEIN et al. 1997).

Es liegt auf der Hand, dass solch "Wilde Weiden" nur auf großen Flächen (>30-40 ha je nach Wüchsigkeit der Standorte) realisiert werden können. Eine Rahmenbedingung, die in den meist klein parzellierten Mittelgebirgen in der Regel nicht gegeben ist. Will man hier "halboffene" Weidelandschaften, die auch für den Erholungssuchenden von großem ästhetischen Reiz sind, schaffen, wird man sich mit kleineren Weideflächen zufrieden geben müssen und dementsprechend auf eine Ganzjahresbeweidung verzichten. Das man trotz dieser Einschränkungen auch naturschutzfachlich zu zufrieden stellenden Ergebnissen kommen kann, zeigen verschiedene Projekte, die seit 2000 von der Landschaftsstation in Zusammenarbeit mit der Unteren Landschaftsbehörde des Kreises Höxter und der Höheren Landschaftsbehörde bei der Bezirksregierung Detmold im Kreis Höxter umgesetzt wurden. Einige der herausragenden Beispiele werden im Folgenden vorgestellt.

Weitläufige Rinderweiden am Hartheiser Berg bei Erkeln

Zwischen Brakel und Erkeln liegt südlich der Nethe der Hartheiser Berg (Abb. 2). Auf der weitgehend waldfreien Kuppe findet sich die mit 24 ha derzeit größte Extensivweide im Kreis Höxter. Noch bis vor fünf Jahren war Grünland auf dem Hartheiser Berg auf den direkten Kuppenbereich und Teile des Südhangs beschränkt (9,6 ha). Es handelte sich zum überwiegenden Teil um Kalk-Halbtrockenrasen und artenreiches mageres Wirtschaftsgrünland mit Vorkommen seltener Pflanzenarten wie Weißer Prunelle (Prunella laciniata) (üppiger Bestand mit mehreren hundert Pflanzen), Kreuz-Enzian (Gentiana cruciata), Purpur-Sommerwurz (Orobanche purpurea), Acker-Wachtelweizen (Melampyrum arvense) oder Knäuel-Glockenblume (Campanula glomerata). Die restlichen Flächen waren ältere Ackerbrachen, die sich selbst begrünt hatten. In Teilbereichen fanden sich bereits zahlreiche Pflanzenarten der Magerrasen - sie zeigten das hohe Entwicklungspotential der Brachen an. Still gelegt worden waren die Äcker, da sie sich im Einzugsbereich eines Trinkwasserbrunnen befinden, dessen Nitratwerte kritische Werte erreichen.

Abbildung 2

Abb. 2: Lage der Weide am Hartheiser Berg (Karte: W. Köble, © Geobasisdaten: Landesvermessungsamt NRW, Bonn, 2008)

2003 ergab sich in enger Zusammenarbeit mit dem Eigentümer des Großteils der Flächen und dem Pächter, einem Landwirt mit Mutterkuhherde, die günstige Gelegenheit, die Flächen zusammen zu legen um so eine große zusammenhängende Extensivweide zu erhalten. Da der Rinderhalter auch Pächter weiterer brachliegender Ackerflächen in unmittelbarer Nachbarschaft war, konnten auch diese in die Extensivweide einbezogen werden. Da die Äcker dauerhaft in extensiv genutztes Grünland umgewandelt wurden, kommt die Einrichtung der Weide auch dem allgemeinen Umweltschutzziel "dauerhafte Reduktion der Nitrateinträge ins Grundwasser" zu gute. Die nicht unerheblichen Kosten für den insgesamt 2030 m langen Zaun wurden vom Land NRW und der EU getragen.

Bereits nach wenigen Jahren stellt sich der Hartheiser Berg als ein regional bedeutsamer Lebensraum für Schmetterlinge dar. Aufgrund seiner isolierten Lage fehlen zwar noch einige Charakterarten der Kalk-Halbtrockenrasen, die vorkommenden Arten (Tab. 1) erreichen dafür Individuendichten, die im Kreis Höxter ihresgleichen suchen.

Tab. 1: Tagfliegende Schmetterlinge am Hartheiser Berg im Jahr 2006/07

Art                                                            Haüfigkeit
Hufeisenklee-Gelbling                Colias alfacariensis      selten
Großer Kohlweißling                  Pieris brassicae          häufig
Kleiner Kohlweißling                 Pieris rapae              sehr häufig
Grünader-Weißling                    Pieris napi               häufig
Aurorafalter                         Anthocharis cardamines    selten
Kleiner Fuchs                        Aglais urticae            regelmäßig
Landkärtchen                         Araschnia levana          regelmäßig
Admiral                              Vanessa atalanta          regelmäßig
Distelfalter                         Vanessa cardui            regelmäßig
Tagpfauenauge                        Inachis io                regelmäßig
Schachbrettfalter                    Melanargia galathea       sehr häufig
Kleines Wiesenvöglein                Coenonympha pamphilus     häufig
Schornsteinfeger                     Aphantopus hyperanthus    sehr häufig
Großes Ochsenauge                    Maniola jurtina           sehr häufig
Hauhechelbläuling                    Polyommatus icarus        sehr häufig
Kl. Sonnenröschen-Bläuling           Arcia agestis             regelmäßig
Rostfarbiger Dickkopffalter          Ochlodes venatus          regelmäßig
Braunkolbiger Braun-Dickkopffalter   Thymelicus sylvestris     regelmäßig
Gelbwürfeliger Dickkopffalter        Carterocephalus palaemon  selten
Gemeines Blutströpfchen              Zygaena filipendula       häufig
Thymian- Widderchen                  Zygaena purpuralis        häufig
Esparsetten-Widderchen               Zygaena carniolica        selten
Kleines Fünffleck-Widderchen         Zygaena viciaei           selten
Jakobsbär                            Tyria jacobaeae           regelmäßig

Bereits im Jahr der Aufnahme der Beweidung brütete ein Raubwürgerpaar auf der Weidefläche und zog vier Jungvögel groß. Der Insektenreichtum kommt auch dem Neuntöter zugute, der regelmäßig auf der Weidefläche als Brutvogel vertreten ist.

Der in Teilen stark vergraste Magerrasen hat sich seit Aufnahme der Beweidung hervorragend entwickelt und weist größere kurzrasige Bereiche auf.

Die ehemaligen Ackerbrachen weisen überaus blütenreiche Magergrünland-Bestände mit Arten wie Rapunzel-Glockenblume (Campanula rapunculus), Kleinem Odermennig (Agrimonia eupatoria) oder Echtem Labkraut (Galium verum) auf. Obwohl die Flächen insgesamt gehölzarm sind und der Verbuschungsdruck daher nur gering ist, sind die Rinder nicht in der Lage, die sich ansamenden (Hecken-Rose, Weißdorn) und über Wurzelbrut ausbreitenden (Schlehe) durch Verbiss im Zaum zu halten. Die Flächen werden deshalb in unregelmäßigen Abständen mechanisch nachgepflegt. Da dies aufgrund der Topografie mit landwirtschaftlichen Maschinen möglich ist, stellt dieser Umstand aber kein größeres Problem dar.

Der Hamberg bei Riesel - eine "halboffene Weidelandschaft" mit besonderem Flair

Südlich von Riesel liegt der Hamberg, dessen südexponierter Hang von trockenen Rinderweiden, Kalk-Halbtrockenrasen, kleinen Kiefern- und Lärchenwäldern und undurchdringlichen Weißdorn- und Schlehengebüschen bedeckt ist (Abb. 3).

Abbildung 3

Abb. 3: Lage der Weide am Hamberg (Karte: W. Köble, © Geobasisdaten: Landesvermessungsamt NRW, Bonn, 2008)

Das Grünland lag über viele Jahrzehnte brach und drohte vollkommen zu verbuschen. Aufgrund der Eigentumsverhältnisse (Privatflächen in Gemengelage mit öffentlichen - bundeseigenen  Flächen) war an eine Nutzung über lange Jahre hinweg nicht zu denken. Nur die wertvollsten Kalk-Halbtrockenrasen, welche in Teilbereichen glücklicherweise lange Zeit von Niederwild offen gehalten wurden, wurden im Rahmen von Pflegemaßnahmen vor der völligen Verbuschung bewahrt. Die Situation änderte sich 2001, als es dem Land gelang, die Privatflächen mit wenigen Ausnahmen anzukaufen. Es entstand eine knapp 18 ha große, arrondierte, vielfältig strukturierte Fläche, die sich als "halboffene Weidelandschaft" geradezu anbot. Mit Mitteln des Landes wurde im Folgejahr die gesamte Fläche gezäunt.

Abbildung 4

Abb. 4: Beweidung mit Rindern am Hamberg (Foto: Frank GRAWE)

Seit dem Sommer 2004 wird die gesamte Fläche mit 7-8 Jungrindern beweidet. Die dichten Gebüsche und Hecken stehen den Weidetieren ebenso zur Verfügung wie die lichten Baumbestände. Beweidet wird von Mai bis Ende November. Interessant ist, dass die Rinder die kleinen Halbtrockenrasen inmitten der Gebüsche zuerst abweiden, die größeren offenen Halbtrockenrasen und das magere Grünland dagegen erst spät im Jahr. Auf diese Weise ist das ganze Jahr über ein gutes Blütenangebot auf den Flächen zu finden. Die verbrachten Magerrasen regenerieren sich zusehends und weisen auf vielen Teilflächen bereits wieder die typischen Strukturen und Pflanzenzusammensetzungen auf.

Abbildung 5

Abb. 5: Kleine Wachsblume (Cerinthe minor; Foto: Frank GRAWE)

So finden sich auf den süd- und westexponierten Flächen gute Bestände von Fliegen-Ragwurz (Ophrys insectifera), Mücken-Händelwurz (Gymnadenia conopsea) oder Grünlicher Waldhyazinthe (Platanthera chlorantha). Hier und da gedeihen zudem alle drei heimischen Enzianarten, namentlich Kreuz-Enzian (Gentiana cruciata) (Einzelexemplare an zwei Stellen), Deutscher Enzian (Gentianella germanica) und Fransen-Enzian (G. ciliata) sowie Bienen-Ragwurz (Ophrys apifera) und Katzenpfötchen (Antennaria dioica). Als botanische Rarität ist die Kleine Wachsblume (Cerinthe minor) zu nennen, die am Hamberg ihren einzigen Wuchsort in Nordrhein-Westfalen hat (Abb. 5).

Da die Rinder im dichten Gestrüpp Pfade anlegen, sorgen sie dafür, dass wieder zunehmend Licht in die Bestände kommt, mit positiven Effekten für seltene Waldarten wie das Weiße Waldvöglein (Cephalanthera damasonium) oder die mit einigen Exemplaren im Gebiet vorkommende Türkenbund-Lilie (Lilium martagon). Die von den Rindern geschaffenen Schneisen, die zum Teil motormanuell noch weiter geöffnet wurden, sind wieder für Arten der Magerrasen passierbar und sorgen so für einen Verbund der ansonsten isolierten Teilflächen.

Von der Weitläufigkeit des Geländes und der zeitlich gestaffelten Nutzung der Teilflächen durch die Rinder (erst in den Gehölzbereichen, später im Offenland) profitieren v. a. blütenbesuchende Insekten wie Schmetterlinge oder Hautflügler. Insbesondere die verschiedenen Widderchenarten erreichen hohe Dichten auf den Weideflächen.

Tab. 2: Schmetterlingsarten der "Wilden Weiden" am Hamberg

Art
Großer Kohlweißling        Pieris brassicae
Kleiner Kohlweißling        Pieris rapae
Grünader-Weißling        Pieris napi
Zitronenfalter        Gonepteryx rhamni
Aurorafalter        Anthocharis cardamines
Kleiner Fuchs        Aglais urticae
Landkärtchen        Araschnia levana
C-Falter        Polygonia c-album
Admiral        Vanessa atalanta
Distelfalter        Vanessa cardui
Tagpfauenauge        Inachis io
Großer Perlmutterfalter        Mesoacidalia aglaja
Kleiner Perlmutterfalter        Issoria lathonia
Kaisermantel        Argynnis paphia
Waldbrettspiel        Pararge aegeria
Schachbrettfalter        Melanargia galathea
Kleines Wiesenvöglein        Coenonympha pamphilus
Weißbindiges Wiesenvöglein        Coenonympha arcania
Schornsteinfeger        Aphantopus hyperanthus
Großes Ochsenauge        Maniola jurtina
Hauhechelbläuling        Polyommatus icarus
Rotklee-Bläuling        Cyaniris semiargus
Kleiner Sonnenröschen-Bläuling        Arcia agestis
Nierenfleck-Zipfelfalter        Thecla betulae
Rostfarbiger Dickkopffalter        Ochlodes venatus
Braunkolbiger Braun-Dickkopffalter      Thymelicus sylvestris
Schwarzkolbiger Braun-Dickkopffalter      Thymelicus lineola
Gelbwürfeliger Dickkopffalter        Carterocephalus palaemon
Roter Würfel-Dickkopffalter        Spialia sertorius
Dunkler Dickkopffalter        Erynnis tages
Kleiner Würfel-Dickkopffalter        Pyrgus malvae
Gemeines Blutströpfchen        Zygaena filipendula
Thymian- Widderchen        Zygaena purpuralis
Esparsetten-Widderchen        Zygaena carniolica
Kleines Fünffleck-Widderchen        Zygaena viciaei

Die reichlich vorhandenen Insekten sind wiederum die Nahrungsgrundlage für zahlreiche Vogelarten, unter ihnen der Neuntöter und alle vier heimischen Grasmückenarten.

Lebensraum für Schafstelze, Braunkehlchen und Wachtelkönig - die Echelwiesen bei Borgentreich

Zwischen Borgentreich und Lütgeneder befindet sich in einer Senke ein kleines, in Teilen mineralisiertes Niedermoor, das Echeler Bruch, auch Echelwiesen genannt (Abb. 6). Der hier ursprünglich wachsende Erlen-Bruchwald wurde schon vor vielen Jahrhunderten gerodet, das Feuchtgebiet diente seitdem als Viehweide. In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts versuchte der damalige Eigentümer das Feuchtgrünland in Äcker zu überführen. Trotz umfangreicher Meliorierungsarbeiten ist es ihm nicht gelungen, dass Niedermoor hinreichend stark zu entwässern.

Abbildung 6

Abb. 6: Lage der Weide Echeler Bruch/Echelwiesen zwischen Borgentreich und Lütgeneder (Karte: W. KÖBLE, © Geobasisdaten: Landesvermessungsamt NRW, Bonn, 2008)

Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts konnte der gesamte Bereich durch das Amt für Agrarordnung in Warburg für Naturschutzzwecke erworben werden. Zu diesem Zeitpunkt lagen die Flächen bereits brach und hatten sich als Folge der Entwässerung und des Umbruchs großflächig zu nitrophytischen Hochstaudenfluren entwickelt. Auch nach dem Erwerb blieben die Flächen zunächst brach liegen. Da aber auf eine Unterhaltung der Entwässerungsgräben verzichtet wurde und darüber hinaus einige der Drainagen gekappt wurden, setzte eine Wiedervernässung des Gebietes ein - mit der Folge, dass eine normale landwirtschaftliche Grünlandnutzung kaum noch in Frage kam.

1998 wurde dann der Landschaftsstation die Betreuung der Flächen übertragen. Da aufgrund der Wüchsigkeit und Größe des Standortes eine reine Pflege nach naturschutzfachlichen Gesichtspunkten ausschied, blieben nur zwei Optionen: Entweder die Rückentwicklung durch Sukzession über Röhrichte zurück zum Erlen-Bruchwald, oder aber die Entwicklung eines strukturreichen Feuchtgebietes - idealerweise im Rahmen einer kostengünstigen extensiven Beweidung.

In Abstimmung mit dem Land als Eigentümer, vertreten durch die Höhere Landschaftsbehörde bei der Bezirksregierung Detmold, wurde zugunsten der letzteren Alternative entschieden.

Abbildung 7

Abb. 7: Düppeler Weideschweine auf den Eggelwiesen (Foto: Frank GRAWE)

Bei der Umsetzung ergab sich dann aber das Problem, dass sich für die aus Sicht eines Nutzers in einem desolaten Zustand befindlichen Brachen keine Interessent fand. So wurde beschlossen, dass die Fläche in das Forschungsvorhaben des BMBF "Schweinefreilandhaltung im Rahmen der Landschaftspflege" (FKZ 01LN0002) mit eingebracht wurde (vgl. NEUGEBAUER et al. 2005). In den Jahren von 2000 bis 2004 wurden jeweils im Spätsommer / Herbst Weideschweine auf die Flächen aufgetrieben, denen es in wenigen Jahren gelang, die Dominanz der nitrophytischen Hochstaudenfluren zu brechen, so dass lichtliebenden, niedrigwüchsigen Arten wieder entsprechender Lebensraum zu Verfügung gestellt wurde (vgl. Hill et al. 2005; NEUGEBAUER et al. 2005).

Nachdem das Feuchtgrünland auf diese etwas ungewöhnliche Art wieder hergestellt worden war, gelang es dann 2006 einen Nutzer für die Flächen zu finden. Die Flächen werden seitdem mit Schottischen Hochlandrindern beweidet (Abb. 8). Hierzu wurde der größte Teil (ca. 7,5 ha) der Echelwiesen großflächig eingezäunt (Zaunlänge: 1.250 m), lediglich ein extrem nasser Teilbereich, in dem sich ein großflächiges Schilfröhricht gebildet hat, wurde ausgespart. So sollte verhindert werden, dass dieser für Rohrammer, Sumpfrohrsänger oder Wasserralle wertvolle Lebensraum durch die Rinder beeinträchtig wird.

Abbildung 8

Abb. 8: Beweidung mit Highland Cattle im Echeler Bruch (Foto: Frank GRAWE)

In den Folgejahren, vor allem 2004, wurden noch einige biotopoptimierende Maßnahmen durchgeführt: So wurden mehrere Kleingewässer und Blänken für durchziehende Watvögel und Amphibien und Libellen angelegt und randlich der Rinderweide zahlreiche Kopfweiden gesteckt. Entstanden ist so eine eindrucksvolle Niederungslandschaft, die im Kreis Höxter ihresgleichen sucht.

Von besonderer Bedeutung sind die Brutvorkommen von Wachtelkönig, Braunkehlchen, Wiesenpieper und Schafstelze. Während des Zuges rasten Bekassine, Zwergschnepfe sowie Bruch- und Waldwasserläufer in größerer Zahl (bis 40 Vögeln) auf den Extensivweiden, die somit zu einem der bedeutendsten Rastplätze für Watvögel im Kreis geworden sind.

Hinsichtlich der Flora waren in den nunmehr aufgelichteten Brennnesselherden zunächst die mit ca. 2.700 Exemplaren überaus üppigen Bestände der Sumpfdotterblume (Caltha palustris) weithin sichtbar. Weiterhin entwickelten sich gute Bestände von Brennendem Hahnenfuß (Ranunculus flammula) und Gift-Hahnenfuß (Ranunculus sceleratus.

Abildung 9

Abb. 9: Blühende Sumpfdotterblumen auf den Eggelwiesen (Foto: Frank GRAWE)

Im Südteil der Fläche etablierte sich, hauptsächlich infolge der zunehmenden Vernässung, Nassgrünland mit der Zweizeiligen Segge (Carex disticha) als aspektbildende Art. In besonders nassen Mulden etablierten sich kleine Großseggenbestände aus Sumpf-Segge (Carex acutiformis) und Rispen-Segge (Carex paniculata).

Insgesamt ergab sich aus der Beweidung eine deutliche Erhöhung der Artenvielfalt (vgl. NEUGEBAUER et al. 2005) und des Angebotes an Strukturen, z. B. unterschiedliche Vegetationshöhen und Deckungsgrade in einem kleinräumig wechselnden Mosaik. Ohne die Beweidung hätten sich in den Echelwiesen wohl über viele weitere Jahre stabile, für lichtliebende Pflanzen undurchdringliche Brennnessel-Dominanzbestände gehalten.

 

Sumpf-Dreizack und Fieberklee - das Feuchtgebiet Multhöpen bei Ottenhausen

Nordwestlich des alten Dorfkerns von Ottenhausen liegt das Feuchtgebiet Multhöpen (Abb. 10).

Abbildung 10

Abb. 10: Lage der Weide Multhöpen (Karte: W. KÖBLE, © Geobasisdaten: Landesvermessungsamt NRW, Bonn, 2008)

Obwohl es nur von geringer Flächenausdehnung ist, gehört es zu den bedeutenden Feuchtgebieten im Kreis, da hier seltene Arten wie Fieberklee (Menyanthes trifoliata), Sumpf-Dreizack (Triglochin palustre), Gewöhnliche Teichsimse (Schoenoplectus lacustris), Grünliche Gelb-Segge (Carex demissa), Braunes Zyperngras (Cyperus fuscus) und Röhrige Pferdesaat (Oenanthe fistulosa) eine letzte Zuflucht gefunden haben. Von Bedeutung ist das Feuchtgebiet mit seinen zahlreichen Kleingewässern auch für den Kammmolch, der hier eine individuenstarke Population aufweist, und der Laubfrosch, der mit einer kleinen, aber lautstarken Population vertreten ist.

Abbildung 11

Abb. 11: Fieberklee (Menyanthes trifoliata; Foto: Frank GRAWE)

Abb. 12: Sumpf-Dreizack (Triglochin palustre; Foto: Frank GRAWE)

Abbildung 12

Bis Ende der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde der zentrale, auch im Sommer noch sehr nasse Bereich mit Motorsense oder Einachsmäher gemäht und das Schnittgut an einem Landwirt abgegeben. Da sich aber immer weniger Engagierte fanden, diese zeitaufwändige Arbeit durchzuführen und der Landwirt zudem kein Interesse mehr am Mähgut hatte (das Schnittgut hätte also "entsorgt" werden müssen), stellte sich für den Heimatverein Ottenhausen als Eigentümer der Fläche die Frage, wie mit der Pflege zukünftig verfahren werden sollte. Die Landschaftsstation wurde deshalb um Rat gebeten, wie die Zukunft der Fläche aus naturschutzfachlicher Sicht aussehen sollte. Unter den gegebenen Rahmenbedingungen kam nur eine extensive Beweidung in Frage. Das Weidemanagement wäre aber nicht ganz einfach gewesen, da die Weidefläche, in die das Feuchtgebiet eingebettet war, nur eine Fläche von etwa 3,3 ha aufwies. Es bestand deshalb die Gefahr, dass die wertvolle Vegetation im nassen Bereich sehr schnell zertreten werden könnte. Glücklicherweise grenzte an die Weide eine weitere Fläche des Heimatvereins, die bis dato als Acker genutzt wurde. Es gelang, diese und einige weitere Flächen in das Beweidungssystem einzubeziehen. Förderlich war dabei, dass Ottenhausen als ein externes EXPO-2000-Projekt an der Weltausstellung teilnahm, so dass die Zäunungskosten für den 1,9 km langen Zaun im Rahmen der Optimierungsarbeiten für die EXPO mit abgerechnet werden konnten. Die entstandene "Wilde Weide" mit einer Flächengröße von ca. 10 ha wurde so zu einem Bestandteil der Weltausstellung! Zeitgerecht zur Eröffnung der Ausstellung im Jahre 2000 wurde dann erstmals eine Mutterkuhherde bestehend aus ca. 15 Tieren aufgetrieben.

Abbildung 13

Abb. 13: Kuhherde im Feuchtgebiet Multhöpen (Foto: Frank GRAWE)

Nach 8 Jahren extensiver Beweidung kann folgende Bilanz gezogen werden: Die dichtschließenden Flatterbinsen-Bestände, welche sich infolge der fehlenden Nutzung in den nassen Muldenlagen ausgebildet haben, haben sich seit Aufnahme der Beweidung immer weiter aufgelichtet. Dies ermöglichte es zahlreichen Arten, ihre Bestände zu vergrößern. So hat sich insbesondere im zweiten und dritten Jahr der Beweidung die Sumpf-Dotterblume (Caltha palustris) geradezu explosionsartig ausgebreitet. Bereits Anfang Mai 2001 und verstärkt seit 2002 bedecken gelbe Teppiche aus heute schätzungsweise 80.000-100.000 Sumpfdotterblumen-Blüten die vormals gleichförmig braungrüne Nassbrache.

Weitere Arten, die von der Öffnung der Flächen profitierten, waren das Kappen-Helmkraut (Scutellaria galericulata), der Schild-Ehrenpreis (Veronica scutellata) und der Fieberklee. Im Bereich der durch Viehtritt vegetationsfreien Ufer der Blänken konnten sich Sumpf-Dreizack und Grünliche Gelb-Segge kräftig ausbreiten. Das Braune Zyperngras (Cyperus fuscus) und die Röhrige Pferdesaat (Oenanthe fistulosa) wurden nach vielen Jahren erstmals wieder nachgewiesen. Lediglich die im Jahr 1999 erfassten drei bzw. fünf Individuen des im Gebiet in besonders morastigen Bereichen wachsenden Breitblättrigen bzw. Gefleckten Knabenkrautes (Dactylorhiza majalis et D. maculata) wurden vermutlich durch tiefe Trittsiegel geschädigt, so dass sie seit 2006 nicht mehr nachgewiesen konnten. Ob die Bestände erloschen sind, bleibt abzuwarten. Generell ist eine Beweidung nasser Bereiche mit Rindern aber nicht zwangsläufig als schädigend für Orchideen einzustufen, wie das Beispiel der Pölinxer Wiesen bei Warburg-Scherfede zeigt: Hier sind die Bestände der beiden oben genannten Arten trotz ähnlicher edaphischer Bedingungen und ähnlicher Beweidungsdichte seit Jahren stabil.

Eine Beweidung von wertvollen Feucht- und Nassgrünland ist, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, also möglich, und stellt eine kostengünstige Alternative zum Erhalt des in unserer Region insgesamt überaus selten gewordenen Feuchtgrünlandes dar!

Abbildung 14

Abb. 14: Kleiner Wasserfrosch (Rana lessonae; Foto: Frank GRAWE)

 

Für die Amphibienpopulationen, insbesondere die Grünfrösche, lässt sich feststellen, dass sie von der praktizierten Beweidung zum überwiegenden Teil profitieren. Förderlich wirkt zum einen der Verbiss der Röhrichtbestände am Ufer der Kleingewässer, so dass die Verlandung deutlich verzögert verläuft. Zum anderen stellen die zahlreichen Trittsiegel der Rinder im feuchten Boden ideale "Kleinstgewässer" dar, die vor allem von jungen Grünfröschen als Habitat genutzt werden, die sich so den Nachstellungen der kannibalischen Artgenossen und auch der Graureiher besser entziehen können. Für den Laubfrosch sind ähnliche positive Auswirkungen aus anderen Gebieten (z. B. dem Münsterland) ebenfalls bekannt. In Multhöpen sind diese aber bisher noch nicht festzustellen - die Bestände dieser Art haben bislang noch nicht auf die Beweidung angesprochen.

Positiv haben sich die Weidetiere auch auf Zug- und Rastvögel ausgewirkt. Die z. T. schlammigen Ufer bzw. schlammigen Pfade der Weidetiere werden von Watvögeln gerne als Nahrungshabitat gesucht, so dass seit Einrichtung der Extensivweide die früher nur sporadisch auftretenden Bekassinen, Wasserläufer oder Zwergschnepfen heute regelmäßig während des Zuges im Gebiet zu beobachten sind.

Literatur:

ASSMANN, T. & B. FALKE (1997): Bedeutung von Hudelandschaften aus tierökologischer und naturschutzfachlicher Sicht.  Schr.-R. f. Landschaftspfl. u. Naturschutz 54: 129-144.

BUNZEL-DRÜKE, M. (1997): Großherbivore und Naturlandschaft.  Schriftenreihe für Landschaftspflege und Naturschutz 54: 109-128.

GEISER, R. (1992): Auch ohne Homo sapiens wäre Mitteleuropa von Natur aus eine halboffene Weidelandschaft. - ANL, Laufener Seminarbeiträge 2/92: 22-34.

GERKEN, B., R. KRANNICH & H. SONNENBURG (2008a) - Hutelandschaftspflege und Artenschutz mit großen Weidetieren im Naturpark Solling-Vogler. Teil 1 - Hauptvorhaben - Naturschutz und Biologische Vielfalt 57: 15-127.

GERKEN, B., R. KRAWCZYNSKI & H.G. WAGNER (2008b) - Hutelandschaftspflege und Artenschutz mit großen Weidetieren im Naturpark Solling-Vogler. Teil 2 - Wissenschaftliche Begleitung - Naturschutz und Biologische Vielfalt 57: 129-267.

HILL, B.T., B. BEINLICH, H. KÖSTERMEYER & L. BECK (2005): Die Schweineweide als Lebensraum für Vögel (Aves) und Laufkäfer (Coleoptera: Carabidae).  Beiträge z. Naturkunde zw. Egge u. Weser 17: 98-119.

HÜPPE, J. (1997): Ökologische und naturschutzfachliche Anforderungen und Ziele einer "halboffenen Hudelandschaft" aus vegetationskundlicher/floristischer Sicht .  Schr.-R. f. Landschaftspfl. u. Natursch. 54: 145-159.

KLEIN, M., U. RIECKEN & E. SCHRÖDER (1997): Künftige Bedeutung alternativer Konzepte des Naturschutzes. - Schr.-R. f. Landschaftspfl. u. Natursch. 54: 301-310.

NEUGEBAUER, K.R., B. BEINLICH & P. POSCHLOD (Hrsg., 2005): Schweine in der Landschaftspflege - Geschichte, Ökologie, Praxis - NNA-Berichte 18. Jg., H. 2. Schneverdingen, 260 S.

OHEIMB, G. VON, I. EISCHEID, P. FINCK, H. GRELL, W. HÄRDTLE, U. MIERWALD, U. RIECKEN & J. SANDKÜHLER (2006): Halboffene Weidelandschaft Höltigbaum. Perspektiven für den Erhalt und die naturverträgliche Nutzung von Offenlandlebensräumen. - Naturschutz und Biologische Vielfalt 36, 280 S.

POSCHLOD, P., M. SCHNEIDER-JACOBY, H. KÖSTERMEYER, B.T. HILL & B. BEINLICH (2002): Does large-scale, multi-species pasturing maintain high biodiversity with rare and endangered species? - The Sava floodplain case study. - In: REDECKER, B., P. FINCK, W. HÄRDTLE, U. RIECKEN & E. SCHRÖDER (Hrsg.): Pasture Landscapes an Nature Conservation.  Springer Verlag, 367-378.



Anschriften der Verfasser: 
 Dr. Burkhard BEINLICH
 Frank GRAWE
  Landschaftsstation im Kreis Höxter
  Zur Specke 4
  34434 Borgentreich
  beinlich@landschaftsstation.de
  grawe@landschaftsstation.de