www.egge-weser-digital.de — Beiträge zur Naturkunde zwischen Egge und Weser 20 (2008) 081-085

Die Nethe wieder „lachsgängig" machen – das Nethe-Projekt im Rahmen des Wanderfischprogramms

Von Sven MINDERMANN

Einleitung

Die zwischen Meer und Süßwasser wandernden, diadromen (griechisch: dia-: durch, wieder; -drom: laufen) Fischarten besiedeln im Laufe ihres Lebens unterschiedliche Lebensräume. Sie sind auf eine ungestörte Vernetzung dieser Gebiete von den Bachoberläufen über die Flussläufe bis hin zum Meer angewiesen.

Die hohe Aussagekraft einer erfolgreichen Wiederansiedlung von Wanderfischen für eine artenreiche Fischfauna sowie ganzheitlich intakte Fließgewässer (INGENDAHL et al. 2008) erklärt auch die aktuellen Bemühungen zur Schaffung der Durchgängigkeit der Nethe. Sie wird auf Ebene der Fachbehörden seit 1998 thematisiert. Ebenfalls ab 1998 wurde auf Landesebene an Konzepten für eine gezielte Wiederherstellung von Lebensräumen für Wanderfische gearbeitet, die in das Wanderfischprogramm Nordrhein Westfalen mündeten.

Im Rahmen dieses Programms wurde eine ganze Reihe von Lachs-Besatzmaßnahmen in der Nethe durchgeführt. Mit der Einführung der EU-Wasserrahmenrichtlinie im Dezember 2000, trat eine rechtliche Grundlage in Kraft die den Gewässerschutz in Europa neu ordnete und der ökologischen Bedeutung von Gewässern deutlich mehr Gewicht beimaß.

Um den bisherigen Bemühungen mehr Durchschlagskraft zu verschaffen beauftragte die Bezirksregierung Detmold im Sommer 2005 die Landschaftsstation im Kreis Höxter mit dem Projektmanagement zur ökologischen Entwicklung der Nethe: Die Landschaftsstation erläuterte in ihrem Jahresbericht 2006 bereits die Gründe für die Wanderbewegungen von Fischen sowie die Situation an den Wasserkraftanlagen, die keine vollständige Durchgängigkeit bieten, und stellte entsprechende Lösungen vor (BEINLICH et al. 2007: 116-118).

Dieser Bericht beschreibt die weiteren Arbeiten im Rahmen des Projektmanagements und geht auf die veränderten Rahmenbedingungen ein.

Neue Zielsetzungen des Projektmanagements

Am 1. Februar 2008 startete der Kreis Höxter mit seinem Gewässerentwicklungsprojekt „Arbeit am Fluss". Dieses Projekt bietet die Möglichkeit ökologische Maßnahmen umzusetzen, z. B. Entrohrungen oder das Einbringen von Totholz. Da diese Möglichkeiten auch für die Nethe bestehen, hatte sich die Landschaftsstation bereits im Jahr 2007 mit den Fachbehörden darauf geeinigt, ihre Bemühungen auf die Schaffung der Durchgängigkeit zu konzentrieren.

Foto: B. BEINLICH

Abb. 1: Kiesbank in der Nethe, 22.04.2005 (Foto: B. BEINLICH)

Die besonders wertvollen Lebensräume der Nethe, insbesondere die Kiesareale als potentielle Laichhabitate, erstrecken sich bis in die Nebenflüsse (Abb. 1). In Abstimmung mit den Fachbehörden soll die Durchgängigkeit daher prioritär bis unterhalb Siddessen geschaffen werden, um die Anbindung der Nebenflüsse Brucht, Aa und Oese zu ermöglichen. Der Standort Siddessen wurde in der Prioritätensetzung zurückgestuft.

Eine vollständige Durchgängigkeit auch für schwimmschwache Fische und Wirbellose sowie den Lachs ist aktuell nur an der Wasserkraftanlage in Godelheim realisiert.

Die ursprünglichen Zielsetzungen im Rahmen des Wanderfischprogramms fokussierten sich auf den Lachs als Leitart und wichtigen Indikator für den ökologischen Zustand der Nethe.

Die Bemühungen, demnächst geschlechtsreife Lachse an der Nethe beobachten zu können, erlitten allerdings einen Rückschlag, als die E.ON-Wasserkraftwerke an der Weser in Schlüsselburg und bei Petershagen kurzfristig an ein norwegisches Unternehmen verkauft wurden. Das neue Unternehmen will den von der E.ON Wasserkraft GmbH geplanten Bau von Umgehungsgerinnen derzeit nicht umsetzen, so dass die Durchgängigkeit der Weser nicht wie erhofft in 2008/2009 realisiert werden kann.

Neben dem Lachs konzentriert sich der Fokus an der Nethe inzwischen verstärkt auch auf den europäischen Aal, dessen Bestand sich nach Auffassung der Expertengruppe des Internationalen Rates für Meeresforschung außerhalb sicherer Bestandsgrenzen befindet. Daher hat die Europäische Kommission eine Verordnung zum Schutze des Aals im September 2007 erlassen. (INGENDAHL et al. 2008).

Für die Planungen zur Schaffung der Durchgängigkeit der Nethe werden Maßnahmen zum Schutz der Blankaale vor der Passage durch die Turbinen von Wasserkraftwerken zukünftig eine größere Rolle spielen.

Schaffung der Durchgängigkeit an der Nethe

Alle Wasserkraftanlagen an der Nethe sind nach dem Prinzip eines Ausleitungskraftwerkes angelegt, d. h. neben dem natürlichen Gewässerlauf wurde ein Mühlengraben mit dem Ziel angelegt, das darin geführte Wasser einer Turbinenanlage zuzuführen.

Neben technischen Lösungen zur Schaffung der Durchgängigkeit (z. B. Borsten- oder Mäander®-Fischpass, Abb. 2 und 3) wurden naturnahe Bauweisen (z. B. Umgehungsgerinne, Tümpelpass) kommuniziert.

Abbildung 2

Abb. 2: Prinzipskizze eines Bypass als Mäander®-Fischpass (Zeichnung: © ÖKOFISCH PETERS GmbH & Co. KG, Godelheim) als Beispiel für eine technische Lösung, die von einem ortsansässigen Unternehmen angeboten wird.

Abbildung 3

Abb. 3: Computer-Modelldarstellung eines Mäander®-Fischpass Typ C (Zeichnung: © ÖKOFISCH PETERS GmbH & Co. KG, Godelheim)

Abbildung 4

Abb. 4: Die „alten Fischtreppen" in Beller und Erkeln ermöglichen zwar schwimmstarken Fischarten insbesondere bei hohem Wassergang den Aufstieg. Schwimmschwache Arten sowie Arten des Makrozoobenthos haben unter diesen Bedingungen allerdings keine Chance aufzusteigen.

Die Wasserkraftanlagen-Betreiber an der Nethe favorisierten in bisher geführten Gesprächen technische Lösungen.

In Erkeln und Bruchhausen ist der Bau einer Fischaufstiegsanlage direkt am Kraftwerk möglich, an den übrigen Standorten soll der Aufstieg über das Mutterbett durch eine Fischaufstiegsanlage am jeweiligen Stauwehr ermöglicht werden.

Festlegung der Restwassermengen

Der strittigste Punkt in den Gesprächen mit den Wasserkraftanlagen-Betreibern bestand in der Festlegung der Mindestabflussmengen in das Mutterbett der Nethe. Die Fachbehörden in NRW orientieren sich an die im „Handbuch Querbauwerke" (MUNLV 2005) beschriebene Restabflussmenge von einem Drittel des mittleren Niedrigwassers (MNQ). Dieser Wert soll im Sinne der Gleichbehandlung aller Betreiber grundsätzlich auch an der Nethe eingehalten werden.

Um den Wasserkraftanlagen-Betreibern entgegenzukommen, wurde von den Fachbehörden und der Landschaftsstation folgender Vorschlag zur Staffelung der Mindestrestwassermengen in Abhängigkeit von den Hauptwanderzeiten der in der Nethe relevanten Wanderfische erarbeitet:

Die vorgeschriebene Abflussmenge von 1/3 MNQ muss während der Hauptwanderzeiten vom 1. April bis 30. Juni und vom 15. Oktober bis 30. November sicher gestellt sein. In den übrigen Zeiträumen kann die Abflussmenge reduziert werden.

Diese so genannte Dynamisierung ist nicht fachlich begründet, sondern ausschließlich als Angebot an die Wasserkraftanlagen-Betreiber zu verstehen, um die geplanten Zielsetzungen zu forcieren.

Die technische Umsetzung wird durch den Einbau eines 2. Bypasses geregelt:
Fischpass + 1. Bypass Der Wasserdurchfluss entspricht der geforderten Mindestrestwassermenge außerhalb der Hauptwanderzeiten.

Einbau eines 2. Bypasses Der Wasserdurchfluss im 2. Bypass entspricht der Differenz zwischen der eingeforderten Restwassermenge während und außerhalb der Hauptwanderzeiten. Die so genannte Dynamisierung lässt sich durch das Öffnen und Verschließen des 2. Bypass regulieren.

Fischabstieg

Um die gewünschte vollständige Durchgängigkeit der Nethe umzusetzen, sind neben den Fischaufstiegsanlagen, die in erster Linie den Aufstieg in das Oberwasser ermöglichen, auch Bypässe für den Fischabstieg zu planen. Dies ist insbesondere für den Europäischen Aal von Bedeutung, der als Blankaal aus den Flüssen abwandert um das Laichareal im Meer (Sargasso-See) zu erreichen.

Die Bypässe sollten möglichst nah über der Sohle vor dem Rechenfuß gebaut werden. Die Abflussmenge für ein Abstiegsrohr (Aalrohr) kann mit 30-50 l/s kalkuliert werden.

Der Wasserkraftanlagen-Betreiber in Godelheim konnte beobachten, dass Aale vor dem vibrierenden Rechengitter seiner Anlage Halt machen und über seinen Rechenkasten absteigen, der an der oberen Wasserkante liegt. Die hier wirkende Ausbildung gegenläufiger Wirbel hinter umströmten Körpern, in diesem Fall hinter den Rechenstäben, bezeichnet man als KARMANsche Wirbelstrasse.

Ein Planungsbüro wurde von der Bezirksregierung Detmold mit der gezielten Untersuchung dieser Beobachtungen beauftragt. Erste Ergebnisse hierzu werden im Winterhalbjahr 2008/09 vorliegen.

Finanzierung

Für den Bau einer Fischaufstiegsanlage gewährt das Land eine Zuwendung in Höhe von 80 % der Kosten, einschließlich der Planungskosten. Der Antragsteller muss eine unterhaltungspflichtige Körperschaft sein, der Eigenanteil wird i. d. R. vom Betreiber der Wasserkraftanlage getragen.

Grundvoraussetzung für einen positiven Förderbescheid ist der Konsens aller zuständigen Behörden über den Nutzen der Maßnahme.

Nicht förderfähig sind Kosten für:

  • Rechenanlagen und andere Anlagen, die im Zusammenhang mit der Anlagentechnik der Wasserkraftanlagen stehen,
  • die Sanierung von Stauwehren,
  • Maßnahmen zum Fischabstieg (diese Maßnahmen können aber durch Mittel der Fischereiabgabe gefördert werden).

Nach Angaben der Behörden muss mit folgenden Bearbeitungszeiträumen kalkuliert werden:
Erarbeitung eines wasserrechtlichen Bescheids: ~ 13 Wochen
Bearbeitung eines Förderbescheids für eine Fischaufstiegsanlage: ~ 4 Wochen
Bearbeitung eines Förderbescheids für den Fischabstieg: keine Angaben

Die Bezirksregierung Detmold hält die Finanzierung einer Fischwanderhilfe pro Jahr an der Nethe für ein realistisches Ziel (RIEK, mdl.).

Neben den dargestellten Landesförderungen, stellen die Vergütungssätze für Strom aus Wasserkraft eine weitere Möglichkeit dar, die Entscheidungen der Wasserkraftanlagen-Betreiber für Maßnahmen zur Schaffung der Durchgängigkeit ökonomisch abzufedern.

Bislang stellte das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) von 2004 die rechtliche Grundlage für die Vergütung von Strom aus Wasserkraft dar. Danach wird die Kilowattstunde (kWh) bei Wasserkraftanlagen bis 500 kW mit 7,67 Cent vergütet. Werden an einer Wasserkraftanlage Maßnahmen zur Verbesserung der Ökologie durchgeführt, steigt die Vergütung um 2 Cent auf 9,67 Cent/kWh. Die Untere Wasserbehörde bestätigt dem Energieversorgungsunternehmen die Durchführung der Maßnahme mit einem formlosen Schreiben.

Nach dem Regierungsentwurf zur Überarbeitung des EEG vom 5. Dezember 2007 soll die Vergütung zukünftig um einen weiteren Cent/kWh erhöht werden, bei einer Verkürzung der Vergütungsdauer von 30 auf 20 Jahre.

Die Finanzierungsmöglichkeiten in NRW zur Schaffung der Durchgängigkeit sind, auch im Vergleich mit den Fördersätzen anderer Bundesländer, so attraktiv, dass die Suche nach weiteren Finanzquellen (z. B. Ersatzgelder des Kreises, Ausgleichsmaßnahmen des Straßenbauamtes) keine Priorität mehr besitzt. In schwierigen Einzelfällen sollten allerdings individuelle Lösungen gefunden werden.

Ausblick — zukünftige Aufgaben

Obwohl alle Wasserkraftanlagen-Betreiber an der Nethe grundsätzlich bereit sind, sich an der Schaffung der Durchgängigkeit zu beteiligen, läuft der Umsetzungsprozess auf allen Ebenen von der Antragstellung bis zum fertigen Förderbescheid nicht innerhalb der erwarteten Bearbeitungszeiträume. Die derzeit gute Fördersituation sollte allerdings zügig zur Umsetzung der dargestellten Ziele genutzt werden.

Abbildung 5

Abb. 5: Die Öse bei Neuenheerse — einer der Nebenbäche der Nethe, der für wandernde Fische wieder erreichbar gemacht werden soll (Foto: Frank Grawe)

Für die Funktionskontrolle der zu errichtenden Fischaufstiegsanlagen sowie zur Umsetzung der oben beschriebenen Dynamisierung sollten die Städte als unterhaltungspflichtige Körperschaften gewonnen werden.

Die neuen Fördersätze des EEG müssen bei der Kalkulation von Maßnahmen berücksichtigt und gegenüber den Wasserkraftanlagen-Betreibern vermittelt werden.

Bislang sind noch keine naturnahen Bauweisen (Raugerinne) als Fischwanderhilfen an der Nethe beantragt worden. Allerdings ist nach Ansicht der bewilligenden Fachbehörden ein Mix unterschiedlicher Bauweisen einem eindimensionalen Vorgehen an der Nethe vorzuziehen. Dieser Aspekt muss in den weiteren Gesprächen mit Wasserkraftanlagen-Betreibern, die sich bislang noch nicht für eine Bauweise entschieden haben, berücksichtigt werden.

Die EU-Kommission hat ihre Mitgliedsstaaten verpflichtet, Aal-Management-Pläne zu erarbeiten. Ziel dieser Vorgabe ist es, genügend Blankaalen den Weg zum Laichareal im Meer — die Sargasso-See vor Nordamerika — zu ermöglichen. Bislang fokussierte sich die Umsetzung von Förderprogrammen in NRW stark auf Maßnahmen im Rhein und seinen Nebenflüssen. Der Bedarf für entsprechende Managementpläne und Pilotanlagen besteht aber ebenso im Oberweserraum. Dies sollte zukünftig stärker nach Düsseldorf ins MUNLV kommuniziert werden.

Literatur:

BEINLICH, B. et al. (2007): Jahresbericht 2006 der Landschaftsstation im Kreis Höxter – Beiträge zur Naturkunde zwischen Egge und Weser 19: 95-127.

INGENDAHL, D., P. BEECK, A. NEMITZ, F. MOLLS, & H. KLINGER (2008): Das Wanderfischprogramm NRW. Ein systematischer Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität in nordrhein-westfälischen Fließgewässern – Natur in NRW 3/2008: 14-16.

MUNLV  MINISTERIUM FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ, LANDWIRTSCHAFT UND VERBRAUCHERSCHUTZ DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN (Hrsg., 2005): Handbuch Querbauwerke. Bearb. v. U. DUMONT, P. ANDERER, U. SCHEVERS.  Düsseldorf

ÖKOFISCH PETERS GmbH & Co. KG (o. J.): Der Mäander®-Fischpass. (Verkaufsprospekt)





Anschriften des Verfassers:
 Sven MINDERMANN
 Landschaftsstation im Kreis Höxter
 Zur Specke 4
 34434 Borgentreich
 mindermann@landschaftsstation.de