Egge-Weser Band 10 - Die Wasservögel im Wesertal zwischen Höxter und Würgassen

5.5) 

Im Beobachtungszeitraum 1980 bis 1996 nachgewiesene Arten


Kiebitz 
(Vanellus vanellu)

spärlicher Brutvogel (bis 16 Bp), 
häufiger Durchzügler

Habitat: Der ehemalige Bewohner des Feuchtgrünlandes brütet heute fast ausschließlich auf Äckern. Hierbei werden gerne feuchte Stellen aufgesucht, die bessere Nahrungsmöglichkeiten und auch den Vorteil des langsameren Vegetationsfortschrittes und somit der besseren Übersicht bieten. Am liebsten werden die im zeitigen Frühjahr noch kahlen Rübenäcker angenommen, aber auch Getreideäcker werden häufig besiedelt. Die Kiebitze benötigen stets freie Sicht nach allen Seiten. Manchmal werden sie von der Rasanz der Vegetationsentwicklung überrascht und müssen den bereits gewählten Brutplatz wegen zunehmender Unübersichtlichkeit wieder verlassen. Die letzten Wiesenbrüter sind unregelmäßig in einer Feuchtwiese im Godelheimer Bruch zu sehen (letztmalig zwei Paare 1993). Vereinzelt brüten auch Tiere auf Brachen und Rohboden an den Kiesseen.

Um die Abhängigkeit der Vögel von Frühjahrsfeuchte, Vegetationsentwicklung und Brutplatztradition zu verdeutlichen, wird im Folgenden die Entwicklung der Kiebitzkolonie Godelheim/Wehrden 1995 und 1996 dargestellt:

Auf einer Grünlandbrache (Flächenstillegung) in Godelheim, auf der im Vorjahr vier Paare erfolgreich gebrütet hatten, balzte Ende Februar 1995 ein Paar Kiebitze, deren Zahl sich bis Ende März auf fünf Paare erhöhte. Bei der nächsten Kontrolle Mitte April waren aber nur noch zwei Paare anwesend, die auch brüteten. Mitte Mai war es nur noch ein Paar, daß jetzt Junge führte. Es hielt sich in einer feuchten, vegetationslosen Rinne auf, während der Rest der Fläche weit über "Kiebitzhöhe" vergrast war, was offensichtlich der Abwanderungsgrund der anderen vier Paare war. Letztere waren in zwei km Luftlinie auf einen frisch bestellten Rübenacker abgewandert und zogen dort erfolgreich Junge auf.

1996 brütete erneut ein Paar auf der stillgelegten Fläche, die anderen vier Paare balzten nun Anfang März auf dem Rübenacker, der sich im Vorjahr als geeigneter Platz herausgestellt hatte. Diese Kiebitze zeigten somit eine nur über den Winter bestehende Ortstreue und damit eine sicherlich überlebenswichtige Flexibilität in der Brutplatzwahl. Da allerdings das Frühjahr 1996 zunächst sehr trocken begann und der Acker sich in grundwasserferner Hanglage befindet, bot er diesmal, vermutlich aufgrund von Nahrungsmangel, keine Brutmöglichkeiten. Die acht Tiere wurden noch bis in die erste Aprilhälfte dort gesehen, danach verließen sie die Fläche. Ein Paar wurde später auf einem wesernahen Acker bei Wehrden entdeckt, die anderen konnten nicht wiedergefunden werden, so daß unklar blieb, ob und wo sie noch zur Brut kamen. Daß Kiebitze eine gewisse Zeit im Gebiet balzen und dann doch weiterziehen, wurde auch in anderen trockenen Jahren beobachtet.

Ähnlich Rebhuhn und Schafstelze verlangt auch der Kiebitz eine weiträumig offene Landschaft, die im teilweise enger eingeschnittenen Wesertal nicht überall vorzufinden ist. Die drei Arten haben dadurch nahezu identische Schwerpunktvorkommen in Bereichen, in denen sich die Talung am weitesten öffnet.

Vorkommen und Bestandsentwicklung: Die Brutangaben von PREYWISCH (1962) lassen zu dieser Zeit einen ähnlichen Bestand wie heute vermuten. SABE (1982) traf 1980 an den Godelheimer Seen keine brütenden Kiebitze an, einem Gebiet, in dem seit 1983 die in der Tabelle angegeben Paare siedeln.

Jahr Godelheim Beverungen Lauenförde Brückfeld Summe
1983 1* 10 ? ? 11*
1984 ? ? ? ? ?
1985 3* 5 ? ? 8*
1986 3* 3* ? ? 6*
1987 7 2 ? ? 9*
1988 10-11 2 4 ? 16-17*
1989 7-8 1 1 3* 12-13*
1990 5 1 8 ? 14*
1991 3 ? ? 1* 4*
1992 1 1 6 ? 8*
1993 4 1 6 ? 11*
1994 4 1 3 3* 11*
1995 5 0 7 ? 12*
1996 2 1 8 0 11

Entwicklung der Brutpaarzahlen des Kiebitzes in den einzelnen Kolonien; "Godelheim" umfaßt auch anschließende Vorkommen auf der Gemarkung Wehrden. Im Brückfeld wurde mit Ausnahme von 1996 nie gezielt gesucht, in den anderen Gebieten erfolgten planmäßige Erfassungen erst seit 1988. Alle Angaben mit * sind durch Zufallsbeobachtungen entstandene Minimalzahlen mit einer Dunkelziffer an nicht erfaßten Paaren.
In feuchten Frühjahren brüten mehr Kiebitze. Auch steigt dann wie unten geschildert möglicherweise der Bruterfolg.
Auf dem Zug sind im Frühjahr und Herbst vielfach große Ansammlungen zu beobachten, die sich zumeist auf den gleichen Äckern wie die Brutvögel aufhalten. Auffallend oft sind die durchziehenden Kiebitztrupps mit Staren vergesellschaftet.

Jahresrhythmus: Die Kiebitze kehren meist gegen Ende Februar, Anfang März zurück. Manchmal sind sie ein bis zwei Tage vor der ersten milden Witterung des Jahres wieder anzutreffen, so daß ihr Auftreten zu Wettervorhersagen genutzt werden kann. Im März sind dann oft große Schwärme auf dem Zug zu sehen. Zu dieser Zeit balzen auch die einheimischen Brutvögel, und die ersten Gelege sind schon Ende des Monats vorzufinden. Im April wird in der Regel gebrütet, und ab Ende April sind Jungvögel anzutreffen. Anfang Juni setzt dann auch schon wieder der Rückzug ein. Nach nochmals größeren Ansammlungen im Herbst mit Schwerpunkt im Oktober, die manchmal längere Zeit verweilen, verlassen die letzten Kiebitze im November das Wesertal. Winterbeobachtungen sind ausgesprochen selten, es liegen lediglich drei Nachweise aus dem Dezember und einer aus dem Januar vor, jeweils von Einzeltieren. Die Brutvögel sind im Diagramm nicht enthalten.

Diagramm 26: Zugbeobachtungen des Kiebitzes

Gesamtzahl: 10.148 Ex.

Maximalzahl pro Beobachtungstag: 700 Ex. am 21.03.1985

Gefährdung und Schutzmaßnahmen: Der geringe Bruterfolg im Lebensraum Acker ist das entscheidende Problem des Kiebitzes; durch die schnelle Vegetationsentwicklung werden sicher häufig Nester aufgegeben. Beobachtungen von Jungvögeln liegen nur aus Rübenäckern und Brachflächen vor; möglicherweise ist der Bruterfolg in Getreideäckern durch ein zu rasches Zuwachsen deutlich geringer.
Der Bruterfolg hängt auch von der Frühjahrsfeuchte ab. In den feuchten Frühjahren 1994 und 1995 haben in den Kolonien Godelheim und Lauenförde fast alle anwesenden Paare flügge Junge aufgezogen (Ausnahme Lauenförde 1994: kein Bruterfolg, aber eindeutig durch Bearbeitung des Ackers). Das Frühjahr 1996 begann zwar sehr trocken und mit niedrigen Grundwasserständen, was wie oben geschildert zum Abwandern einiger Paare führte. Später setzte aber eine wochenlange Regenperiode ein, die den Boden feucht und somit in der Oberfläche wurmhaltig hielt. Auch in diesem Jahr führten fast alle verbliebenen Paare vier flügge Jungvögel.
Zu einer offensichtlichen Gefährdung kommt es durch die in der Natur des Brutplatzes liegende landwirtschaftliche Bearbeitung. Gelegeverluste nach Bearbeitung sind oft zu beobachten. Um dies zu verhindern, testeten wir im Frühjahr 1995 in Lauenförde eine Brutplatzmarkierung. Im Abstand von einigen Metern vor und hinter (in Fahrtrichtung) den Nestern wurden einen Meter lange weiße Stäbe eingesteckt, deren Umfahrung der Landwirt zugesagt hatte. In diesem Fall war das sogar überflüssig, da es sich herausstellte, daß kein Kiebitz sein Nest in einer Schlepperspur angelegt hatte. Bei bevorstehendem Umpflügen eines Brutplatzes kann das Verfahren mit Einverständnis des Landwirtes in Zukunft angewendet werden, da keine negativen Nebenwirkungen beobachtet wurden. Die Kiebitze schlichen nach kurzer Aufregung rasch zum Nest zurück, und Rabenkrähen nutzten die Stäbe auch nicht zur besseren Orientierung; alle markierten Nester wurden erfolgreich ausgebrütet.
Plünderungen der Nester durch Rabenkrähen kommen nur ausnahmsweise vor, es wurde lediglich in einem Fall vermutet. Im Gegensatz zu Gebieten mit großen Kiebitzbeständen lohnen sich die wenigen Kiebitzeier hier nicht für eine planmäßige Nachsuche durch Rabenvögel. Vergleichende Beobachtungen in starken (Untere Havel 1993, J.Müller, S.Stollenmaier) und schwachen Kiebitzvorkommen (Wesertal) deuten darauf hin, daß die Rabenvögel keinen Einfluß auf die Bestandsentwicklung haben. Die auffälligen Verluste in Gebieten, in denen der Kiebitz häufig ist und sich nur noch in starken Kolonien der Rabenvögel erwehren kann, haben eben wegen der großen Kiebitzmengen nur eine geringe Bedeutung. Bei den hiesigen kleinen Vorkommen lassen die Rabenkrähen die Kiebitze offensichtlich in Ruhe, weil sie doch nicht von ihnen leben können.